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Kultur: Neues Bauen in Berlin: Leichte Schwere

Erfolgreiche Lobbyarbeit ist ein leises Geschäft. Statt medienwirksamem Getöse spinnen die Lobbyisten ihre kunstvollen Fäden lieber im Stillen, um ihre Klientel bei politischen Entscheidungen zu vertreten.

Erfolgreiche Lobbyarbeit ist ein leises Geschäft. Statt medienwirksamem Getöse spinnen die Lobbyisten ihre kunstvollen Fäden lieber im Stillen, um ihre Klientel bei politischen Entscheidungen zu vertreten. Soviel Nähe zur Politik bedarf auch einer räumlichen Dimension.

Wo Entscheidungen getroffen werden, ist auch der Platz der Lobbyisten. So gibt es neben dem Haus der Wirtschaftsverbände in der Breitenstraße inzwischen noch ein weiteres Verbändehaus in Berlin-Mitte. Es liegt an der Weidendammerbrücke, gleich gegenüber dem Bahnhof Friedrichstraße. Regierungsnähe und eine herrliche Lage an der Spree verbinden sich dort zum doppelten Standortvorteil. Gleich acht Wirtschaftsverbände residieren in dem Haus am Weidendamm unter einem Dach. Soviel Gemeinsamkeit soll auch gemeinsame Kräfte freisetzen: Thema Synergieeffekt. Damit das im Alltag auch funktioniert, hat jeder Verband seine Geschäftsräume gekauft. Das gemeinsame Konferenzzentrum und die Dachterrasse mit Blick zum Kanzleramt sowie das Kaminzimmer stehen allen Verbänden zur Verfügung, ebenso wie die Kapazitäten der Druckerei sowie die Poststelle. Ein besonderer Vorteil einer gemeinsamen Vertretung ist es, dass auch die kleineren Verbände nicht in anonymen Büroetagen verschwinden. Stattdessen besitzt man am Weidendamm eine architektonische Visitenkarte mit identifikationsstiftenden Qualitäten.

Verantwortlich für diese Visitenkarte zeichnet das Berliner Architekturbüro Gewers Kühn und Kühn, das sich mit seiner sensiblen, sachlichen Architektur mit technischem Einschlag einen Namen gemacht hat. Am Weidendamm fügen sich die Architekten freilich bereitwillig in das Stimmannsche "Steinerne Berlin" ein - und doch auch wieder nicht. Leise wie die Arbeit der Verbände, so ist auch dieses Haus; unaufdringlich, aber nicht belanglos. Das zeigt sich bereits an der mit Naturstein verkleideten Fassade. Den glatten gelbbraunen Muschelkalkplatten stehen Platten mit rauer Oberfläche als Brüstungsfelder unter den Fenstern gegenüber. Durch ihre hellere Farbigkeit beleben sie die Fassadenwirkung und relativieren damit die spröde Glätte und monotone Schwere anderer Natursteinfassaden.

Ein weiteres belebendes Element an der Fassade ist der Wechsel im Fensterrhythmus. Eine deutlich technische Note verleihen dem Bau die matt-silbrigen Aluminiumprofile und -schwerter der Fenster. Wie in der gesamten Stadt mag man auch beim Verbändehaus darüber streiten, wie klug die Vorgabe ist, die Berliner Traufhöhe durch den Bau von Staffelgeschossen zu unterlaufen. Ob die schöne Aussicht aus den Obergeschossen auf Stadt und Fluss als Argument für die bestenfalls ökonomieverträgliche Stadtverdichtung hinreicht, muss ein jeder Betrachter selbst entscheiden.

Zwischen zwei steinerne Bauteile haben die Architekten mittig ein gläsernes Entree geschoben. Leicht hinter die Bauflucht zurückgesetzt, entfaltet es eine einladende Geste. Nicht ganz so überzeugend ist die Anordnung der beiden gläsernen Aufzüge gleich hinter dem Windfang, während der linsenförmige Empfangstresen seitlich versetzt steht. Dafür nimmt sich das 18 mal 18 Meter große, gebäudehohe Atrium mit seinem sanft gewölbten Glasdach angenehm zurück. Die Aluminiumfenster der Büros werden durch helle Buchenholzpaneele als Brüstungsverkleidungen ergänzt. Der graue Granitboden verleiht dem Raum einen stimmigen Zwittercharakter zwischen Innen- und Außenraum. Keine Topfpflanzen konterkarieren hier die strenge Atmosphäre durch ein vermeintliches Italienflair. Dem Atrium schließt sich seitlich der Konferenzbereich an.

Doch das Potential des Atriums wird nur zum Teil ausgenutzt. Hinter grauverglasten Fenstern schotten sich Poststelle und Druckerei ab. Weitaus reizvoller wäre es, wenn dort ebenfalls offene Gemeinschaftsräume untergebracht worden wären. Der Nutzung durch mehrere Eigentümer sind die vier Fluchttreppenhäuser geschuldet. Sie nehmen ebenso wie die umlaufenden Flure viel Raum in Anspruch, doch sie ermöglichen zugleich die notwendigen kurzen Wege zu den verschiedenen Verbandsadressen im Haus.

Die 20-prozentige Wohnnutzung sucht man im Verbändehaus vergeblich. Statt sie im Staffelgeschoss unterzubringen und die Wohnungen damit - angesichts von Sicherheitsaspekten - dem freien Markt zu entziehen, schließt sich dem Bürogebäude an der Planckstraße ein Wohnhaus mit Eigentumswohnungen an, ebenfalls von Gewers Kühn und Kühn. Seine gelbliche Sandsteinverkleidung besitzt eine wärmere Wirkung als der Kalkstein am Nachbarhaus, ohne dabei gleich in romantischen Historismus zu verfallen. Wie so oft in Berlin, lohnt auch hier der Blick auf die Hoffassade: Weitgehend in dunkles Holz und Glasflächen aufgelöst, besitzt die Rückseite eine gleichermaßen einfache wie ausdrucksstarke Qualität. Das gilt auch für die Rückseite des Verbändehauses. In seine zweifarbigen Putzsegmente zeichnen L-förmige Aluminiumprofile ein abstraktes Muster und betonen unaufdringlich den differenzierten Charakter des Gebäudes.

Jürgen Tietz

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