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Neues Museum: Eine Frage des Taktgefühls

Brüder im Geiste, über 150 Jahre hinweg: Friedrich August Stüler und David Chipperfield, die beiden Architekten des Neuen Museums, sind Meister des sensiblen Weiterbauens

Nofretete hat es vorgemacht. Die berühmteste Kunstschönheit Berlins hat die Zeit nicht unversehrt überstanden. Doch kein Mensch käme auf die Idee, das fehlende linke Auge oder die beschädigte rechte Ohrmuschel der Königin so herzurichten, als wäre nie etwas gewesen. Seit Nofretetes Entdeckung 1912 wiegt die Achtung vor dem Kunstwerk schwerer als die Versuchung, sie wieder makellos heil zu machen.

Bei der Wiederherstellung des Neuen Museums liefen die Diskussionen zunächst anders. Ein Bauwerk, das nach den Kriegszerstörungen der Museumsinsel 1943 und 1945 nur als Fragment überlebt hat, müsse, so forderten Nostalgiker noch während der Bauarbeiten, bis in die letzte Stuckrosette hinein rekonstruiert werden – einschließlich unrettbar verlorener Details wie die völlig zerstörten Wandbilder Wilhelm von Kaulbachs im Treppenhaus. Zum Glück kam es anders.

Wenn nun das Neue Museum erstmals seit 70 Jahren wieder die Türen als Museum öffnet, erlebt man seine vorbildliche Wiederherstellung zuallererst als Triumph besserer Einsicht. Nie zuvor ist in Berlin ein Bauwerk vom Rang des Neuen Museums im Bewusstsein seiner Vergänglichkeit wiederaufgebaut worden.

Demutsgeste vor der historischen Baukunst

Dieses Kunststück im Geist der Aufklärung verdankt sich dem Durchhaltevermögen eines Mannes. David Chipperfield, der Architekt der Wiederherstellung, 1953 in London geboren, avancierte seit 1997, als sein Büro den Auftrag für das Neue Museum erhielt, zum international gefeierten Architekten. Doch der sympathisch-nachdenkliche 56-Jährige, der mittlerweile in USA, Japan und Spanien baut und mit seinem Literaturmuseum der Moderne auf der Marbacher Schillerhöhe auch in Deutschland für Aufsehen sorgte, verzichtet auf Starallüren. Beim Neuen Museum, betont er, sei es ihm nicht um Selbstverwirklichung gegangen, sondern um eine Demutsgeste vor der historischen Baukunst.

Auch Friedrich August Stüler, Schüler Schinkels und Entwerfer des Neuen Museums, den König Friedrich Wilhelm IV. mit dem Titel Architekt des Königs dekorierte, blieb bis zu seinem Tod 1865 bescheiden. Fragt man die Berliner Kunsthistorikerin Eva Börsch-Supan, die ein schwergewichtiges Buch über ihn geschrieben hat, nach der auffälligsten Eigenschaft ihres Lieblingsarchitekten, lobt sie Stülers Taktgefühl.

Wie Chipperfield gehört Stüler zu einer Generation von Erben. Die Baukunst der Erben sieht sich mit den Fußstapfen großer Männer konfrontiert – gleichviel, ob sie dem unklassischen Klassiker Schinkel gehören, dem revolutionären Klassizisten Mies van der Rohe oder dem Anti-Miesianer Richard Rogers, bei dem Chipperfield gearbeitet hat. Mies van der Rohes Geist beschwört Chipperfield nicht zufällig mit seinem neuen zentralen Eingangsgebäude, der James-Simon-Galerie, die in den nächsten Jahren zwischen Kupfergraben, Bodestraße, Pergamonmuseum und Neuem Museum entstehen wird.

Der Architekt begegnete dem Gebäude mit Respekt und Selbstbewusstsein

Auch mit dem Neuen Museum musste sich Stüler an Vorhandenes anpassen: an Schinkels Altes Museum. Das gelang dem eine Generation Jüngeren traumhaft sicher, ohne vor dem Meisterwerk seines großen Lehrmeisters zu kapitulieren. Das Neue Museum entfaltet seine ganze Raffinesse nach innen, in geradezu szenisch gestalteten Raumfolgen und seinerzeit revolutionären Bautechniken wie Eisenträgern, die noch nicht zur Schau gestellt, sondern schamhaft hinter vergoldetem Zierrat versteckt wurden.

Friedrich August Stüler, der von Gotik bis Renaissance viele Sprachen beherrschte, war ein Historist reinsten Wassers. Seine Hauptwerke, der Wiederaufbau der Burg Hohenzollern bei Hechingen, das Schwedische Nationalmuseum in Stockholm, das Gebäude der Akademie der Wissenschaften in Budapest vermitteln in ihren Bauformen und Dekorationselementen ganze Bildungsprogramme. Auch dem Neuen Museum, wenngleich von einem König in Auftrag gegeben, liegt ein derartiges bildungsbürgerliches Programm zugrunde. David Chipperfield hat Stülers halbzerstörten Museumsbau wie ein Palimpsest begriffen. Stülers avancierte bautechnische Details lagen zerstörungsbedingt offen, ohne für jedermann lesbar zu sein. Solche Wunden zu heilen, indem man sie nicht übertüncht, sondern in didaktischer Weise präsentiert und zugleich kommentiert, war das Hauptanliegen des Engländers. Das klingt angestrengt, hat aber Räume von hoher Poesie ermöglicht. Preußisch-prosaisch heißt so etwas: Bauen im Bestand. Das Neue Museum, auch das eine stehende Redewendung Chipperfields, war vor der Sanierung die schönste Ruine Berlins. Der Architekt begegnete ihr mit Respekt und Selbstbewusstsein.

Seinen spröden, widerspenstigen Charakter hat der Bau auch nach der Sanierung behalten. Chipperfield hat sich bei seinen Interventionen alles andere als angebiedert. Mit dem britischen Denkmalpflegespezialisten Julian Harrap und im fortwährenden Dialog mit dem Berliner Landesdenkmalamt entwickelte das Büro Chipperfield ein differenziertes Konzept, nur dort zu ergänzen, wo die Würde eines historisch halbwegs überlieferten Raumes oder einer Wandabwicklung gefährdet schien. In den zahlreichen kriegszerstörten Bereichen des Hauses wurde hingegen in spürbar moderner Formensprache weitergebaut.

Doch was heißt schon modern angesichts von recycelten Ziegeln aus Abbruchruinen, denen, neu vermauert und mit Betonelementen aus Weißzement ergänzt, die Schönheit des Alters innewohnt?

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