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Neues Museum: Wir sind alle Afrikaner

Das Museum für Vor- und Frühgeschichte knüpft im Vaterländischen Saal an die Anfänge an – und zeigt auch jüngste Funde von der Berliner Mauer.

Der Hut aus Gold ist 3000 Jahre alt. Schlank und majestätisch entfaltet er unten im Sternensaal seine magische Wirkung. Wie man ein Kunstwerk auratisch inszeniert, zeigt dieser Raum mustergültig. Wer das Museum für Vor- und Frühgeschichte vom Charlottenburger Standort kennt, wird es kaum wiedererkennen. Hier gewinnt die Sammlung, die 40 000 Jahre Menschheitsgeschichte umfasst, Luft zum Atmen, Licht zum Schillern, Raum zum Flanieren – auf drei Etagen. Im „Vaterländischen Saal“ beginnt man mit einem Rückblick auf die bescheidenen Anfänge. Der mit germanischen Göttern und Helden ausgemalte Raum nahm vor 150 Jahren die gesamte Sammlung auf. Eine bronzezeitliche Urne, die im 17. Jahrhundert in die königliche Kunstkammer gelangte, trägt die Inventarnummer 1.

Der Arzt Rudolf Virchow, der selbst als Ausgräber aktiv wurde, sorgte dafür, dass Schliemanns „Schatz des Priamos“ nach Berlin kam. Ein ganzer Raum ist Troja gewidmet. Den legendären Goldschatz müssen Repliken vertreten, die echten Stücke lagern als Kriegsbeute im Moskauer Puschkin-Museum. Von Troja gelangt man ins antike Zypern. Mit seiner abgeblätterten Wandfarbe passt der Saal zu den archäologischen Funden. Im Römischen Saal eine Etage höher geben die Wandbilder antiker Städte die Kulisse für die in wuchtigen Vitrinen präsentierten Öllämpchen, Spielwürfel, Salbfläschchen und Schwerter aus den römischen Provinzen ab.

Unser Weg führt weiter nach Germanien. Ein riesiges, roh behauenes Holzidol aus Altfriesack blickt einer eleganten Porträtbüste des Kaisers Vespasian ins Auge. Der nächste Saal schreibt die Geschichte bis ins Mittelalter fort. Wikinger, Balten und Slaven tauchen am europäischen Horizont auf. Auf einem gotischen Grabrelief trägt der Fürst Schwert und Sporen, wie sie in der Vitrine davor zu sehen sind. Mit Liebe zum Detail haben die Kuratoren solche Kreuz- und Querbezüge geknüpft. Sie in der Vitrinenausstellung aufzuspüren, erfordert allerdings Konzentration, Geduld und Muße.

Umso erfrischender wirkt die Präsentation im obersten Geschoss. Hier geht es um die frühesten Epochen der Menschheitsgeschichte, deren Zeugnisse rar und für Laien oft spröde sind. Die Kuratoren setzen bei ihrer für zwei Jahre „auf Probe“ konzipierten Ausstellung auf eine moderne Ausstellungsarchitektur aus unlackiertem Sperrholz. Um zwei einzigartige Neandertaler-Schädel herum eröffnet der erste Raum Einblicke in die steinzeitliche Lebenswelt. „Wir sind alle Afrikaner“, behaupten große Lettern. Dazu zeigt eine Computersimulation die Ausbreitung des Menschen über die Erde. Zeitleisten mit aufklappbaren Bildern verlocken zu spielerischen Entdeckungen. In historischen Dioramen sieht man unsere Vorfahren beim Netzeauswerfen oder Hüttenbau. Ein ausgestopfter Steinzeitmensch im Fellgewand runzelt mürrisch die Stirn, während er ein weibliches Idol aus Tonerde knetet. Solche Grenzgänge in populäre Inszenierungsformen dürften bei konservativen Museumskollegen blankes Entsetzen auslösen. Aber nicht nur Kinder und Familien werden diese Etage lieben.

In drei pädagogischen Räumen darf man sogar anfassen: Felle von Schaf und Ziege, Bast von Birken und Linden. Wie funktioniert ein Steinzeitwebstuhl? Wie bohrte man mit primitiv-genialem Werkzeug Löcher? Die Hortfunde der Bronzezeit erlebt man in flachen Bodenvitrinen als locker-unordentliche Haufen auf echtem Torf, Sand oder Flusskies zwischen Muscheln. Dazu ertönt der Klang einer bronzezeitlichen Lure, eines Blasinstruments. In der Eisenzeit, bei den Reiternomaden der östlichen Steppen, ändert sich das Bild. Auf lebensgroßen, ausdrucksstarken Konturzeichnungen ziehen Reiter und Prozessionen auf. Es sind ins riesige Format vergrößerte Ritzzeichnungen von Gürtelblechen oder Gefäßen.

Schließlich führt der Parcours zurück ins Hier und Jetzt. Hunderte von archäologischen Fundstätten markiert die große Berlinkarte. Von der Patronenhülse aus dem Zweiten Weltkrieg bis zum Silbergeschirr, von Omas Goldzahn bis zur bronzezeitlichen Urne: Alles gelangt in die Depots des Museums, dessen Direktor zugleich oberster Stadtarchäologe ist.

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