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Kultur: Neues von der Watschnfront

Eine

von Rüdiger Schaper

Mit Empfindlichkeit kommt man weiter. Der Theaterkritiker dieser Zeitung hat deshalb in seinen Erinnerungen gekramt und gibt folgende schwerstkriminelle Begebenheiten zu Protokoll. Erstens: Ein Schauspieler der Schaubühne hat ihm einmal ein Glas Wein über den Kopf geschüttet, Weißwein. Leider waren alle potenziellen Zeugen ebenfalls betrunken. Zweitens: Ein Jungregisseur desselben Theaters ging ihm wegen eines Verrisses nächtens an die Gurgel. Leider ist diese Tat, geschehen im legendären „Diener“ in Berlin, längst verjährt. Drittens: Aus einem ähnlichen Grund wurde der Kritiker von einem früheren Generalintendanten der Staatlichen Schauspielbühnen Berlin (leider seit vielen Jahren nicht mehr existent) an der Garderobe in ein Handgemenge gezogen und mehrfach bedroht. Viertens: Ein noch amtierender Berliner Theaterintendant hat dem Verfasser dieser kritischen Zeilen ins Gesicht gesagt, er habe wohl Theaterwissenschaft studiert. Aua! Das saß! Theaterwissenschaft! Was lernen wir daraus? Kritik ist ein gefährlicher Beruf. Aber nicht so gefährlich wie der des Kriegsberichterstatters. Der darf meistens keine Feuilletonaufmacher in eigener Sache schreiben.

Wer aber ist Stadelmaier? Wer ist Lawinky? Was ist schon Frankfurt? Bengt Jahnson von „Dagens Nyheter“ widerfuhr im Jahre 1969 ein historischer Adelsschlag. Ingmar Bergman, damals Chef des berühmten Dramaten, des Königlichen Theaters in Stockholm, verpasste dem verhassten Kritiker eine schallende Ohrfeige. Das Regiegenie musste dafür eine Strafe von 5000 schwedischen Kronen bezahlen und erklärte nachher stolz: „Das war es mir wert.“ Und Herrn Jahnson wohl auch. Wer kann schon von sich sagen, dass ihn der Erfinder der „Wilden Erdbeeren“, der „Szenen einer Ehe“ verhauen hat!

Auch aus Bremen kommen neue Nachrichten von der Watschnfront. Der dortige Intendant Klaus Pierwoß schlägt zum Frankfurter Spiralblockskandal einen Stückewettbewerb vor. Namhafte Theaterkritiker sollen Stadelmaiers Rauswurf aus dem Theatertempel dramatisieren. Eine Jury, bestehend aus Frankfurts Oberbürgermeisterin Petra Roth und Frankfurts Intendantin Elisabeth Schweeger, wählt das beste Dramolett aus, das von Claus Peymann am Berliner Ensemble uraufgeführt wird, mit Christoph Schlingensief in der Hauptrolle.

Als Arbeitstitel könnte man sich vorstellen: „Claus Peymann haut mir eine runter und geht vor Gericht.“ Da fällt uns Thomas Bernhard selig ein. Hat er nicht Watschn in Serie produziert? Waren seine Dramen nicht Tiefschläge in Permanenz und Vollendung? Thomas Bernhard hat Österreicher, Nazis und Künstler überhaupt „immer schon gehasst“, wie es unnachahmlich hieß. Ja, solche Stücke schreibt heute keiner mehr. Heute schreiben Dramatiker über Sachen, die man nicht ohrfeigen kann, zum Beispiel über Globalisierung oder Gespenster in Prenzlauer Berg. Man ohrfeigt nicht mehr, man reißt an Notizblöcken. Wir sind Helden.

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