zum Hauptinhalt
Mit seinen roten Haaren und den Sommersprossen auf blasser Haut sieht King krule aus wie die Inkarnation eines britischen Suburbia-Lads.

© XL Recordings

Neues Wunderkind des britischen Pop: Der Aufruhr in mir: King Krules erstes Album

Als 15-Jähriger veröffentlichte er seine erste Single unter dem Pseudonym Zoo Kid. Vier Jahre später präsentiert Archy Marshall nun als King Krule unter dem Titel „6 Feet Beneath the Moon“ ein fulminantes Debütalbum.

Ein Hit ist ein Bestseller, eine Platte, die es in den Charts ganz nach oben schafft. Aber auch, wörtlich übersetzt: ein Schlag. „Has This Hit?“ heißt der stärkste, traurig-schönste, herzergreifendste Song dieses Spätsommers – hat dieser Schlag getroffen?

Das Fragezeichen kann man getrost streichen, denn der junge Mann, der hier ein letztes Mal für das Mädchen singt, das eben noch die Erfüllerin seiner Träume gewesen war, ist am Boden zerstört. „You’re not my heart / you’re it’s breaker“, raunzt er mit wunder, sehr lauter Stimme zu sparsamen Gitarrenakkorden und orchestral aufschäumenden Becken- und Trommelschlägen. Die scheppernde, immer wieder schläfrig anhaltende Musik könnte von einem Spielmannszug stammen, der sich in ein Kühlhaus verirrt hat. Aber der Sänger rafft sich noch einmal zum Aufschrei gegen diese leere, lieblose Welt auf: „I know when I look into the sky / there is no meaning / and I’m the only one believing / that there’s nothing to believe in.“ Er glaubt als Einziger, dass es nichts gibt, an das man glauben kann.

An Wunderkindern herrscht kein Mangel im britischen Pop. Auf wundersame Weise wachsen immer wieder junge Menschen in ihren späten zehner oder frühen zwanziger Jahren nach, die bestehende musikalische Genres umkrempeln oder neue begründen. Zuletzt waren das Jamie T. mit seinen per Gitarre oder Sampler aufgenommenen „Panic Prevention“-Stücken, Dubstep-Star James Blake und der pilzköpfige Rock ’n’ Roll-Erneuerer Jake Bugg. In diese Ahnengalerie reiht sich jetzt Archy Marshall ein, der sich King Krule nennt, eine Verballhornung des Films „King Creole“ mit Elvis Presley. Am Samstag ist er 19 geworden. Sein gerade erschienenes Debütalbum „6 Feet Beneath the Moon“ ist eine der aufregendsten Platten des Jahres.

Marshall ist, seltsam genug für einen Teenager, bereits ein gestandener Musiker. Erstes Aufsehen erregte er Anfang 2010 mit seiner Single „Out Getting Ribs“, die er 15-jährig noch unter dem Pseudonym Zoo Kid veröffentlichte. Schon hier zeigte er sich als zorniger Junge, der ausgeht, um Rippchen zu essen und dabei über eine verflossene Liebe nachdenkt: „Hate runs through my blood / what matter are words in love.“ Es folgten eine EP und eine weitere Single. Die „New York Times“ lobte, Marshall sei „definitiv kein Teeny-Bopper“, und der „Guardian“ befand, er „spucke seine Texte wie ein Punk heraus und spiele Gitarre wie ein Jazzmeister“.

Archy Marshall ist in East Dulwich aufgewachsen, einem sozialen Brennpunkt im Südosten von London. Aber er entstammt nicht dem Proletariat, sondern – ähnlich wie Damon Albarn – einem künstlerisch ambitionierten Elternhaus. Seine Mutter arbeitet als Siebdruck-Grafikerin, sein Vater als Art Direktor. Über dem Esszimmertisch hing – als wäre er Jesus – ein Bild von Ian Dury. Seinen ersten Song schrieb Marshall mit 8, als er 11 war, schenkte sein Vater ihm ein Achtspur-Aufnahmegerät. Zu seinen musikalischen Vorbildern gehören Fela Kuti, Django Reinhardt und Gene Vincent.

Mit seinen roten Haaren und den Sommersprossen auf blasser Haut sieht King Krule aus wie die Inkarnation eines britischen Suburbia-Lads. Für seine Musik braucht er nicht mehr als seine Gitarre und einen Laptop. Und natürlich seine Stimme, ein raues Organ, mit dem er wütende bis desillusionierte Cockney-Zeilen über unglückliche, obsessive Zweierbeziehungen und prekäre Lebensverhältnisse raushaut, „searching for another life“. An den Unruhen und Plünderungen, die vor zwei Jahren London erschütterten, hat er sich nicht beteiligt. Aber er sagt, dass er verstehen könne, warum Jugendliche damals randalierten. Er wettert über die Konsumhaltung seiner Generation und über Popmusik, die keine Haltung hat. Ein Stück auf dem Album trägt den programmatischen Titel „Bathed in Grey“.

„6 Feet Beneath the Moon“ beginnt mit der sanft swingenden Singleauskopplung „Easy Easy“. Die E-Gitarre klingt manchmal lieblich perlend wie bei George Benson, manchmal ungestüm und aggressiv wie bei Billy Bragg. Dubstep-Rhythmen zittern durch schrundige Beats, über allem liegt Hall, was auf den Produzenten Rodaidh McDonald zurückgehen könnte, der schon für The xx und Gil Scott-Heron arbeitete. „Neptune Estate“ ist Hip-Hop in Slowmotion und „A Lizard State“ ein Soul-Stomper mit Bläsersätzen und Freejazz-Einlage. An Selbstbewusstsein mangelt es Archy Marshall nicht. Als er erfuhr, dass US-Superstar Beyoncé auf ihrer Facebook-Seite einen Link zu einem seiner Lieder gepostet hatte, sagte er: „Das überrascht mich nicht.“

„6 Feet Beneath the Moon“ von King Krule ist bei XL Recordings erschienen.

Zur Startseite