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© Rückeis

Neuinszenierung: Good Bye, Lennon

"Sgt. Pepper“ ist das legendärste Beatles-Album. Zum 40-jährigen Jubiläum inszeniert Filmregisseur Wolfgang Becker ein Stück Popgeschichte im Admiralspalast nach - ganz im Geiste der Beatles.

Er schläft wenig. Seit Wolfgang Becker sich vorgenommen hat, die berühmteste Platte der Popgeschichte nachzuspielen, hat sich seine Nachtruhe auf vier Stunden verkürzt. Der Filmemacher, der auch ein passabler Gitarrist ist, tritt öfters mal vor Freunden auf. Die Band kommt zusammen, probt intensiv drei Stücke, um auf einem Geburtstag zu spielen, und das war’s dann wieder. Diesmal steht mehr auf dem Spiel.

Vor vierzig Jahren wurde das „Sgt. Pepper“-Album der Beatles veröffentlicht. Ein Datum, das Becker als Beatles-Fan nicht tatenlos verstreichen lassen kann. Immer wieder, mit 13, 16, 18 Jahren, kam er auf die Band zurück, die sich von der Bühne verabschiedete, als er zwölf war, und auflöste, als er 16 war. In Phasen der Ratlosigkeit treibt es ihn noch immer zu ihr zurück auf der Suche nach Trost. Doch ausgerechnet „Sgt. Pepper“ nachinszenieren zu wollen, dieses klanggewordene Monstrum einer psychedelischen Zeitenwende, ist ein gewaltiges Unterfangen. 129 Tage verbrachten die Beatles seinerzeit im Studio, um es einzuspielen. Und was ihren Einfallsreichtum vor allem beflügelte, war der Entschluss, es nicht aufführen zu müssen.

Dass der Regisseur von "Good Bye, Lenin" aus dem Stand einstündige Vorträge über Musik halten kann, wissen nur wenige. Als wir uns zum Gespräch in seinem neu bezogenen Büro treffen, sprudelt es nur so aus ihm heraus. Musik sei seine größte Leidenschaft, „größer als für Filme“, wird er später zugeben. Die Passion kann er allerdings gut mit seinem Beruf verbinden. Auf Reisen durchstöbert er die Vinylbestände fremder Länder nach Sonderpressungen. Längst besitzt er sämtliche 14 Beatles-Alben in mehrfacher Ausführung. Und von den 1600 Bootlegs, die auf irgendwelche Session-Mitschnitte in den Apple Studios zurückgehen, hat er auch etliche. Er schwört auf Vinyl. „Wegen der Plastizität des Klangs mancher Pressungen“, wie er sagt. „Interessant sind die verschiedenen Abmischungen. Von jedem Song gibt es fünf bis zehn unterschiedliche. Eine argentinische ‚Abbey Road’ klingt anders als eine malayische.“ Und Becker kramt in einem Paket nach seiner neuesten Errungenschaft: eine Single der Beatles mit Tony Sheridan, produziert von Bert Kaempfert, erschienen bei der deutschen Polydor, die das Geschäft ihres Lebens hätte machen können. Irgendwann werde er, sagt Becker über seine Sammelleidenschaft, „das Netz wieder aufmachen, damit die Beute weiterschwimmen kann“.

Er selbst, heißt es aus seinem Umfeld, sei auch ein Drifter, ein Treibender, der zwischen zwei Filmen immer wieder für lange Zeit abtaucht. In zwanzig Jahren hat der 53-Jährige nur fünf Spielfilme gedreht. Es mache keinen Sinn, ihn zu drängen. „Mein Problem ist, dass ich meine Drehbücher nicht selbst schreiben kann. Mir wird nichts Interessantes angeboten, und es gibt nur wenige gute Stoffe auf dem Markt.“

Der Urknall aller Konzept-Alben

Aus einer Laune heraus entstand das "Sgt. Pepper“-Projekt. Um den Kern der achtköpfigen Friends and Family Band, in der Becker George Harrisons Gitarrenpart übernimmt, gruppierten sich ein 40 Sänger zählender Chor, die Polkaholix, eine achtköpfige Blaskapelle, sechs Inder und fünf Gäste, zu denen Regiekollege und X-Filme-Kompagnon Tom Tykwer sowie Jana Pallaske und Burghart Klaußner zählen. Der Ehrgeiz ist: Originaltreue. Um den "Geist der Zeit“ einzufangen, haben Becker & Co. versucht, dieselben Effekte und Gitarren einzusetzen und das komplizierte Geflecht von musikalischen Linien zu entwirren, das "Sgt. Pepper" zum Urknall aller Konzept-Alben machte. "Man sollte spüren, was da alles drin steckt. Über das Anfangsthema von 'Lucy In The Sky With Diamonds' hätte Bach eine ganze Cembalo-Sonate schreiben können. Unser Pianist deutet es an: Er spielt eine vierstimmige Fuge aus dem Song-Motiv.“

Nach einer ersten Aufführung im vergangenen Juni wurde Becker von allen Seiten bestürmt, und zur Abwechslung gab er dem Druck einmal nach. Der Admiralspalast fordert nun auch den Regisseur in ihm heraus: Der Organisationsaufwand entspricht annähernd dem eines Filmdrehs. Das Bühnenlicht muss eingerichtet, die Band kostümiert werden, Egos wollen aufeinander abgestimmt sein. Becker selbst pflegt seit Monaten – zum Missfallen von Frau und Kind – einen grauen Schnauzer und bringt seine Haare auf Hippie-Länge. Berührungsängste mit den Legenden kennt er nicht. Lennon selbst sei mit seiner Stimme chronisch unzufrieden gewesen und habe Produzent George Martin gebeten, sie durch Effekte zu verfremden, erzählt Becker. Wovor solle man sich da fürchten, wenn jemand so unheilig mit seinem Talent umgehe?

Überhaupt: Lennon. Becker spricht viel über ihn – McCartney wird von ihm nur einmal erwähnt. Es ist vor allem Lennons Begabung, Themen von der Straße aufzulesen und sofort in Musik umzuwandeln, die ihn fasziniert. Was für eine Kunst! Sie muss sich nicht um die Finanzierung kümmern, nicht um Terminpläne oder darum, dass die Spannung einer Geschichte neunzig Minuten anhält. Er muss das.

Aufgewachsen mit Klassik

"Ich gehe heute Abend in die Philharmonie", platzt es aus Becker heraus. Er greift zum Telefonhörer. Seine Assistentin soll das Programm nachsehen. Sie ruft zurück: Wegen Erkrankung Tschaikowsky statt Schostakowitsch. Becker ist enttäuscht. Derzeit liebt er Schostakowitschs Violinkonzert Nr. 1 besonders. Dennoch wird er hingehen. Die Lederjacke hängt schon über seiner Stuhllehne.

Beckers Vater war Maurer, die Mutter Fotolaborantin. Sauerland, katholisches Umfeld, beide sangen im Kirchenchor. Mozart und Haydn war, was sie mit klassischer Musik verband. ("Bach natürlich nicht, das war ja evangelisch und wurde nicht gesungen“). Mit zwölf lernte der Sohn Gitarre. Erst ein Lehrer brachte ihn mit der Klassik, speziell der klassischen Moderne in Berührung. "Ich kenne keinen Filmregisseur“, sagt Becker heute, "der nicht auch ein großer Musikfan wäre.“ Hinter ihm hängen Szenenbilder von Stanley Kubrick an der Wand. Als wollten sie seine Bemerkung unterstreichen. Becker: "Die Art der Orchestrierung von Prokofjew und Strawinski kehrt tausendfach in Soundtracks wieder. Bela Bartok hat allen vorgemacht, wie man Flächen erzeugt, und Schostakowitsch, wie man ironische Musik komponiert. Rhythmisch pointierte Klänge führen zu Prokofjew. Wenn in der Titelsequenz das Raumschiff über uns hinwegfliegt, kann man hören, wie John Williams für ,Krieg der Sterne’ bei Strawinsky die Orchestrierung studiert hat."

Bald wird Becker selbst wieder einen Film drehen und im Schneideraum nach der passenden Musik suchen. Ob ihm die Beschäftigung mit den Beatles da zugute kommt? Auf irgendeine Weise bestimmt, sagt Becker. Und er erzählt, dass sie als Zugabe "All You Need Is Love“ spielen werden, ein Stück, in dem die Fab Four sich zu ihren Ursprüngen bekennen: Fragmente von Bach, Glen Miller und dem englischen Volkslied "Greensleeves“ sind in den Hintergrund geblendet. Dann zeigen die Beatles, was daraus hervorging: "She loves you, yeah yeah yeah!“ Man sollte Beckers Filme mit den Ohren sehen.

Sgt. Pepper Tribute, 19.12., Admiralspalast (Friedrichstraße 101, Mitte), 22 Uhr.

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