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© Uwe Steinert

Neukölln: Versuchsküche über der Autobahn

"Eintopf inklusive": Wie ein Neuköllner Park zum Schauplatz einer sozialen Plastik wird.

Manchmal liegt ein Hauch von Science-Fiction über der Wederstraße in Neukölln. Fünf junge Männer rücken dann in hellblauen Overalls an und verteilen sich auf dem Rasen des symmetrisch angelegten Carl-Weder-Parks. Sie bücken sich, heben etwas auf, legen es in einen Eimer. Meist ist es Hundekot. Sie arbeiten mit fließenden Bewegungen, es ist eine Choreografie, wie ein Kosmonauten-Tanz. Die Nachbarn aus den umliegenden Häusern kennen das schon. Es ist der Reinigungstrupp der „Werkstatt für Veränderung“. Es bedeutet, dass Seraphina Lenz wieder da ist.

Die Künstlerin hat 2002 den Gestaltungswettbewerb für das fast zwei Kilometer lange begrünte Dach des Autobahntunnels der A 100 gewonnen. Wo früher bewohnte Häuser standen, liegt nun der Carl-Weder-Park – sterile Rasenflächen mit einzelnen Bäumen, die vor allem fürs Gassigehen mit Hunden genutzt werden. Seit 2003 postiert sich Lenz im Sommer hier für drei Wochen mit einem blauen Container und lässt ab und zu den Reinigungsdienst über die Wiese tanzen. Die Männer in Blau sollen den Kot beseitigen. Und Seraphina Lenz soll dem Park im Auftrag des Neuköllner Bezirks mehr Sinn verleihen. In dieser Woche ist es wieder so weit. Der Container steht am Wiesenrand, und die Nachbarn wissen: Es passiert wieder was ...

Sie haben schon erlebt, wie der Rasen über der Autobahn zu einer Pferdekoppel, einer exotischen Blumenwiese und einem Filmpark wurde. Dieses Jahr möchte Lenz mit über hundert Anwohnern an einer langen, dekorierten Tafel dinieren, von einem Tellerservice, das die Bürger selbst bemalen. Das Gericht soll nur aus Zutaten aus einem gemeinsam angelegten Gemüsegarten und Spenden bestehen. „Ich arbeite jedes Jahr auf eine Idee hin, die als Bild in meinem Kopf existiert“, sagt Lenz, die ein weißes Kleid mit Strohhut trägt. „Eintopf inklusive“ nennt die Bildhauerin ihre diesjährige Aktion, eine Versuchsküche mit „Rezeptkollekte“. Ihre Botschaft: Alles ist irgendwie vorgegeben: die Mauern, die Bäume, der Rasen. Lenz aber will zeigen, dass man alles auch anders formen kann. Die Gestaltungskünstlerin will „Potenziale von Stadträumen“ hervorheben: ein Park als Nahrungsquelle, als Schwimmbad, als Lichtinstallation.

Für die Behörden ist ihre künstlerische Arbeit eine „Ausgleichsmaßnahme im Rahmen des Bundesfernstraßenbaus“. Seit 2000 führt der damals umstrittene A-100-Tunnel mitten durch die Stadtteile Rixdorf und Britz und hat seine Spuren hinterlassen. Der Bezirk hat die Straßenzüge im sogenannten „Neubritz“ zum Sanierungsgebiet erklärt. Hier leben überwiegend Einwandererfamilien und angestammte Arbeiter. Aus Sicht der Verwaltung ist die Ecke nicht unbedingt ein typisches Brennpunktviertel wie andere Teile Neuköllns. Doch die Autobahn hat die alte Ordnung im Quartier gesprengt. Viele Jahre war die Zukunft der Wohn- und Gewerbegegend ungewiss.

Beim Tunnelbau verlor die Wederstraße dann ihre Nordseite und mit ihr viele Anwohner. Nun ist Ruhe eingekehrt. Mit den Häusern verschwand auch der Verkehr, der Carl-Weder-Park liegt ruhig da. Ein paar Meter unter der Erde rasen die Autos.

Oben, bei den Bierbänken im Schatten des Werkstatt-Containers, zeichnen Kinder fleißig an ihren Entwürfen für die Geschirrschmückung. Einige der Mädchen tragen Sommerkleider und Kopftuch, die Jungs weite T-Shirts und Shorts. Weiter hinten im Park stampfen angehende Landschaftsarchitekten Lehm in Plastikwannen. Die Studenten haben sich dem Projekt angeschlossen und bauen mit Kindern ein „Insektenhotel“.

Gestaltungskunst im öffentlichen Raum hat es bisweilen nicht leicht, als solche erkannt zu werden. „Manche Eltern denken, sie können hier ihre Kinder zur Betreuung abgeben“, sagt Lenz und seufzt. Doch die Werkstatt für Veränderung ist keine Ferienaktion. „Ich stelle mir verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten vor“, sagt Lenz mit Blick auf die trockenen Wiesenstreifen, „und dann setze ich meine Ideen der Realität des Geländes aus.“

Das kann auch mal in die Hose gehen. Im Jahr 2003 hatte Lenz unter dem Motto „Platz nehmen“ hundert blaue Liegestühle auf den Rasen gestellt. Doch kaum ein Passant setzte sich. „Im Prenzlauer Berg kann man Liegestühle aufstellen, so viele man will – die werden genutzt“, sagt sie und lächelt. „Aber hier hat das niemanden interessiert.“ Jede Idee müsse vor Ort erprobt und verhandelt werden. „Es ist die größte Herausforderung meines Lebens“, resümiert die Künstlerin. Nächstes Jahr wird die Sanierung beendet, Lenz wird dann zum letzten Mal mit ihrem Container anrücken. Ein bisschen Wehmut flackert in ihren Augen auf. Das Autobahnabstandsflächengrün, wie es im Behördenjargon heißt, ist eine gute künstlerische Spielwiese.

Werkstatt für Veränderung: Montags bis Samstags 15 bis 19 Uhr, die Tafelrunde findet am 5. September, 19.30 Uhr, statt.

Ferda Ataman

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