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Kultur: New York liegt in Europa

Von van Gogh bis Jackson Pollock: Mit 200 Meisterwerken ist das New Yorker Museum of Modern Art zu Gast in der Nationalgalerie. Die Moderne leuchtet. Nie zuvor war die Kunst des 20. Jahrhunderts so glanzvoll zu besichtigen wie in Berlin

Was hat das Museum of Modern Art in seiner 75-jährigen Geschichte nicht schon für große und bedeutende Ausstellungen veranstaltet! Kein anderes Museum hat derart die Maßstäbe gesetzt, nach denen moderne Kunst gesehen, bewertet und geschätzt wird. Und im Laufe der Jahrzehnte ist in New York eine Sammlung gewachsen, die diese spezielle Kunstgeschichtsschreibung durch die Qualität ihrer einzelnen Werke beglaubigt – eine endlose Kette von Meisterwerken.

Gut 200 von ihnen sind jetzt in Berlin zu sehen, in der Neuen Nationalgalerie. Für volle sieben Monate ist das MoMA in Berlin zu Hause. „Das MoMA ist der Star“ – nein, diesen Spruch wischte MoMA–Direktor Glenn Lowry bei der gestrigen Pressevorbesichtigung beiseite: „Die Kunst ist der Star.“ Es wurde Zeit, daran zu erinnern.

Ansonsten herrschte bei der gestrigen, von hunderten von Journalisten, Reportern und Neugierigen gestürmten Pressekonferenz eitle Freude. Vom Geld, über das in den Wochen zuvor soviel geraunt worden war – 8,5 Millionen Euro kostet das Gastspiel –, und vom Risiko, das der Verein der Freunde der Nationalgalerie als Veranstalter eingeht, war nur noch am Rande die Rede. Ein Fest steht bevor, keine intellektuelle Prüfung; und wenn denn noch die 700000 als Minimum benötigten Besucher in den sieben Monaten Laufzeit herbeiströmen, wird aus dem Fest sicherlich alsbald verklärte Erinnerung.

Und wenn nicht? Nein, das kann man sich nicht vorstellen. Nicht bei dieser geballten Leuchtkraft von Klassikern im Wortsinne. Der Rundgang im MoMA sollte immer eine Art „begehbares Lehrbuch der Kunstgeschichte“ sein, und so trifft man jetzt all die guten Bekannten, die man meint, schon tausend Mal gesehen zu haben – dabei waren es doch fast immer nur deren Reproduktionen. Stattdessen sind in Berlin die Werke selbst versammelt, mit all ihrer Aura. Die speist sich zwar vorwiegend aus der unmittelbaren, sinnlichen Anschauung, aber ebenso aus dem Vorwissen, den Leitsternen der modernen Kunst zu begegnen.

Der Auftakt ist überwältigend. Man betritt den Parcours im Untergeschoss der Nationalgalerie festlich in der Mitte – und weiß vor lauter Klassischer Moderne, vor Cézanne, van Gogh, Picasso kaum, wohin zuerst schauen. Ohnehin heftet sich der Blick wie magisch an Henri Rousseaus Spätwerk „Der Traum“, wo eine nackte Schöne im dunklen Urwald all die Fantasien heraufruft, die die Künstler Ende des 19. Jahrhunderts in die Ferne, ins Exotische unberührter „Wilder“ lockten. Es zählt zu den Rätseln der scheinbar so nüchternen Moderne, dass es ausgerechnet der vermeintlich „primitive“ Zöllner Rousseau war, der dem Denken und Fühlen der Avantgarde ein präzises Bild gab.

Wer das MoMA lediglich als Botschafter der Vereinigten Staaten, als kulturellen Brückenbauer im verminten Gelände der deutsch-amerikanischen Politik verstehen will, wird eines Besseren belehrt. Die Wurzeln der Moderne liegen in Europa. Ob sie überwiegend in Paris liegen, wie das MoMA mit seinen hinreißend schönen Bildern nahelegt, ist eine andere Frage. Die Ausstellung folgt dem Muster eines Flusses, der sich in zwei Arme teilt. Auf den Pariser Auftakt folgt in den rechts gelegenen Räumen die europäische Fortsetzung, zur Linken hingegen schließen sich die amerikanischen Folgewirkungen an, die in der New Yorker Kunst nach 1945 ihre drei Jahrzehnte währende Hochblüte erleben.

Die ineinander verschachtelten, fließenden, jede strikte Abfolge unmöglich machenden Räume in der Nationalgalerie Mies van der Rohes bringen es mit sich, dass die ursprüngliche, zugleich den begleitenden Katalog gliedernde Unterteilung in acht kunsthistorische Kapitel nicht ganz leicht nachzuvollziehen ist. Diese acht Kapitel orientieren sich – hübscher Einfall – an herausragenden Ausstellungen des MoMA. So wird die Gültigkeit des vor einem Dreivierteljahrhundert eingeschlagenen Weges unterstrichen.

Doch im Zweifelsfall haben sich die Kuratoren, John Elderfield vom MoMA und Angela Schneider von der Nationalgalerie, für die kulinarische Lösung entschieden. Der Besucher läuft auf Monets „Seerosen“ von 1920 zu, zwölf Meter breit und derart überwältigend im New Yorker Stammhaus nie zu sehen. Er betritt den folgenden Raum, wendet sich um – und steht vor Henri Matisse’ „Tanz“ von 1909. Das Gegenstück des „Roten Ateliers“ hätte einen wunderbaren Farbkontrast ergeben, blieb aber – wie meist solche Pendants – in New York. Es tut der Augenfreude keinen Abbruch. Picasso ist dann mit den graubraunen Bildern des analytischen Kubismus stark vertreten – und erinnert leise daran, dass der Spanier einst in deutschen Sammlungen und Museen seine erste Aufnahme fand. Hervorragend ausgewählt ist auch Fernand Léger: Die „Drei Frauen“ von 1921 bezeugen die Rückkehr der experimentierfreudigen Avantgarde zur klassischen Figuration nach dem Ersten Weltkrieg. Die „Propeller“ hingegen, nur drei Jahre zuvor entstanden, gemahnen an Alfred Barrs ursprüngliches Konzept einer das 20. Jahrhundert bestimmenden „Maschinenästhetik“, von dem sich das MoMA später entfernt hat und die Berliner Auswahl nun schon überhaupt nichts mehr weiß.

Das ist, nach dem Abklingen aller Schau- und Wiedersehensfreude, überhaupt der Vorwurf, den man diesem schwelgerischen Gastmahl machen muss: dass es so gar nichts verrät vom Impetus, dem das MoMA seine Gründung verdankt, von jenem alle visuellen Künste umgreifenden Konzept der Moderne, die ihrerseits Teil ist der alle Lebensbereiche umwälzenden Modernisierung.

Die Moderne ist ihrerseits historisch geworden, und selten wird dies so deutlich wie in dieser Ausstellung. Direktor Lowrys Prophezeiung, im Gebäude von Mies van der Rohe – seinerseits ein Zeugnis dieser Moderne – werden sich die Kunstwerke mit „neuer, radikaler Bedeutung aufladen“, stimmt eher melancholisch. Was man erblickt, ist die Radikalität von einst, die heutzutage und in dieser Ausstellung unterschiedslos eingemeindet ist in den vielstimmigen Wohlklang etablierter Kunst.

Das fällt besonders beim europäischen „Flügel“ der Ausstellung auf, der mit sehr viel Surrealismus und weniger realistisch-figurativer Malerei die Strömungen der Zwischenkriegszeit vereint – und doch nirgends die Dissonanzen dieser zerrissenen Epoche anklingen lässt.

„Russland und das Bauhaus“ – das ist die hinsichtlich der von Berlin gewünschten Beschränkung auf die klassischen Medien Malerei und Skulptur das dem ursprünglichen MoMA-Gedanken fern stehendste Kapitel. Design und Fotografie – für das Bauhaus und also auch für das frühe MoMA grundlegend – fehlen in Berlin. Dass Oskar Schlemmers „Bauhaustreppe“ von 1932, kurz vor der Schließung des Bauhauses durch die Nazis als Bekenntnisbild gemalt, in New York bleiben musste, dürfte wohl den jüngst aufgeflammten Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des Erwerbs 1935 zuzuschreiben sein.

Max Beckmanns „Abfahrts“-Triptychon von 1933 – sein erstes und überhaupt bes-tes –, im „alten“ MoMA nie günstig platziert, kommt leider auch in der Neuen Nationalgalerie nicht zu seiner ganzen Geltung. Das Bild, ein Schlüsselwerk nicht nur der deutschen Kunst des 20. Jahrhunderts, ist übrigens (überwiegend) in Berlin entstanden – wo Beckmann in der modernen Abteilung der damaligen Nationalgalerie herausragend vertreten war. Gerade an dieser Stelle zeigt das New Yorker Gastspiel, wie sich Berlin und seine Museen ohne die Nazi-Barbarei hätten entwickeln können.

Mit figurativer Malerei beginnt auch der amerikanische „Flügel“, mit drei Gemälden von Edward Hopper. Aber wo sind die amerikanischen Modernisten der Zwischenkriegszeit? Stuart Davis‘ „Odol“ von 1924, diese Vorwegnahme der Pop-Art, wurde erst 1997 erworben. An Charles Sheelers „American Landscape“ von 1930 – ein Geschenk von Museums-Mitbegründerin Abbie Rockefeller – ist wohl erst gar nicht gedacht worden.

Es ist die amerikanische Nachkriegsmalerei, die – wie schon im Stammhaus selbst – den zweiten Hauptteil der Ausstellung bildet. Hier kann man, abseits aller Begeisterung, nur schmerzlich zur Kenntnis nehmen, dass derlei für ein Berliner Museum nie auch nur ansatzweise nachzuholen sein wird. Lowry betonte, dass die Auswahl für Berlin „ein größeres Gewicht auf die amerikanische Kunst“ lege, als dies in New York selbst gehandhabt wird. Mit Jackson Pollock, Willem de Kooning, Robert Motherwell oder Barnett Newman sind die Räume atemberaubend bestückt. Wenn man sich schon dem Klischee hingeben will, die Kunst der Neuen Welt sei Ausdruck und Abbild von Freiheit und Individualismus, dann an dieser Stelle.

Die Auswahl an Pop-Art – der nächsten, weltbeherrschenden Welle amerikanischer Kunst – ist mit der Betonung ihrer Frühzeit in Arbeiten von Rauschenberg und Johns geschickt gewählt: An eigentlichen Hauptwerken ist nämlich, mit Ausnahme von Roy Lichtensteins „Ertrinkendem Mädchen“ von 1963, wenig zu sehen. Das hat beispielsweise Peter Ludwig für sein Kölner Museum schon damals besser gesammelt, wie überhaupt zur amerikanischen Kunst der Nachkriegszeit die (bewundernde) europäische Rezeption notwendig hinzugehört. Dann allerdings verliert die Ausstellung in den Bereichen von Minimalismus und Konzeptkunst ihre Kraft (wie schon die obere Halle der Nationalgalerie, die der Skulptur dieser Zeit vorbehalten ist, wenig inspiriert wirkt). Die abschließenden Gemälde Philip Gustons beschwören eher ein vergangenes Ungestüm.

Gustons rätselhafte Figurenbilder finden auf der europäischen Seite der Ausstellung ihr Pendant in dem 15-teiligen Zyklus von Gerhard Richter, der sich mit dem Titel „18. Oktober 1977“ als Kommentar zu den Vorfällen in Stammheim ausgibt, tatsächlich aber die uralte Frage angeht, wie es um das Verhältnis von Wirklichkeit und Abbild bestellt ist. Mit dem 1995 getätigten Erwerb dieses Hauptwerks politischer Kunst vom Ende des Jahrhunderts hat das MoMA einmal mehr seine strategische Ausrichtung bewiesen.

Und leider fehlt Picassos revolutionäres Gemälde „Desmoiselles d’Avignon“ von 1907, von dessen Auftritt in Berlin ganz zu Anfang doch immer geflüstert wurde – Träume wohl beim allerersten Abendessen, das auch gestern wieder als Bestätigung einer wunderbaren Freundschaft beschworen wurde. Nicht alle Träume reifen. Es muss schließlich auch nach dem Ende der Berliner Ausstellung noch einen Grund geben, das – dann erweiterte – MoMA-Stammhaus zu besuchen. Aber man wird in New York aufmerksam registrieren, dass die Schätze im Kunsttempel von Mies van der Rohe so grandios zur Geltung kommen, wie sie im eigenen Haus bisher noch nie zu sehen waren.

Neue Nationalgalerie, Potsdamer Str. 50, bis 19. September. Di/Mi/So 10-18, Do/Fr/Sa 10-22 Uhr. Katalog im Hatje Cantz Verlag, kt. 29 €, im Buchhandel geb. 39 €. Weiteres: www.das-moma-in-berlin.de

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