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New Yorker Band "Telepathie": Sofaspaß und Sonnenschein

Zurück in die Achtziger: die New Yorker Band Telepathe. Wie die Musiker das Rockleben in Brooklyn lebte, irgendwann mit Adam Green auf der Bühne standen und nun in Berlin auf einen Wikipedia-Eintrag hinarbeiten.

Man stelle sich das Rockleben von heute folgendermaßen vor: Wohnen in kleinen Apartments, vollgestopft mit elektronischen Instrumenten. Vorzugsweise Basement, also Keller. Man hat Jobs in der großen Stadt, vornehmlich Kellnern oder Ladenhüten in Boutiquen. Immer wieder wird man gefeuert, sucht sich den nächsten Job, nimmt oder gibt Tanzstunden und vergräbt sich unter Pizzaschachteln beim Musikmachen im Basement. Man hat zwielichtige oder freundliche Freunde, deren Projekte man bei Auftritten unterstützt. Erste kleine Erfolge feiert man im Vorprogramm von Typen wie Adam Green. Irgendwann tingelt man nur mit einer ersten EP durch die Lande und schläft in engen Tourbussen, feuchten Absteigen oder auf den ausgeleierten Sofas entfernter Bekannter. Drogenausschweifungen, Alkohol, Aftershowparty bis zum Morgengrauen? Fehlanzeige. „Man ist dann einfach zu müde nach so einem Auftritt. Man will nur noch schlafen. Schließlich ist man am nächsten Tag wieder unterwegs.“

Genau diese Leidensgeschichte haben Melissa Livaudais und Busy Gangnes von der New Yorker Band Telepathe hinter sich. Sie sind Anfang Zwanzig und tragen den derzeit in Berlin-Kreuzberg oft zu sehenden Schmuddellook: dunkle Kleidung, fahle Haut. Die Sonne bekommen sie selten zu Gesicht. Gangnes ist mit ihren norwegischen Vorfahren darauf denkbar gut geeicht, Livaudais hat sich als Strategie einen Kurzhaarschnitt machen lassen. Gegründet haben sie ihre Band Anfang dieses Jahrtausends in Brooklyn, und es mussten sieben, acht Jahre vergehen, bis schließlich ihr vom TV-On-The-Radio-Gitarristen David Sitek produziertes Debütalbum „Dance Mother“ das Licht dieser Welt erblicken konnte.

Im November haben sie das Album vorab vorgestellt, bei Neonlicht und vor einer interessierten, nicht unbedingt zahlreichen Hörerschaft im engen, neuberlinerisch kaputten West Germany, der ehemaligen Zahnarztpraxis am Kottbusser Tor. „Das war seltsam. Wir hatten ziemliche Soundprobleme“, erzählt Livaudais. Die Stimmen waren zu dünn, die Beats zu schwach, die Soundscapes zu schrill, insgesamt hatte der Sound zu viele Höhen. Man musste sich weit von der Bühne entfernen, auf der ohnehin nicht viel passierte, um die Qualitäten der Musik von Telepathe zu entdecken. Je weiter man weg war, desto besser klang es.

Auf „Dance Mother“ trifft das aber nicht zu. Dort klingt nämlich alles anders. „Dance Mother“ ist, Sitek sei Dank, sehr gut produziert, besonders in den Tieflagen. Man hört vollelektronische Flächen, gut behauene E-Drums, quietschige Sounds und darüber die immer noch nicht voluminösen Stimmen von Gangnes und Livaudais, die übereinandergeschichtet sind. Plötzlich bekommen ihre Stimmen die Anmutung verpeilter Schulmädchenchöre, die eben noch „War Games“ im Kino gesehen haben und jetzt singend die Electric Avenue hinunterlaufen, um beim Diner auf der Ecke Milchshakes zu schlürfen.

Richtig, Telepathe haben ihre Vorbilder in den achtziger Jahren. Das liegt zum einen an den sogenannten Vintage-Synthesizern, die sie benutzen. Zum anderen an der Grundstimmung ihrer Musik: immer etwas bedröppelt, dabei voller Sehnsucht. Der Zukunft zugewandt und vergangenheitsschwer, tanzbar, aber nicht geradeaus. Die Themen liegen auf der Hand: die Liebe, die Stadt, die Jagd nach virtuellen Freunden und Freuden.

Telepathe ist mit „Dance Mother“ eine Platte ordentlich verdrehter, verhinderter Popsongs gelungen. Als Ahnen dieser an die Avantgardismen der Achtziger erinnernden Tracks könnte man Algebra Suicide nennen, die Young Marble Giants oder die Cocteau Twins. Telepathe spielen auf kalten Maschinen, denen sie eine Seele einhauchen. Ob diese formidable Platte eine weibliche Antwort auf Animal Collective („The A-Word“, sagt Livaudais, die den Vergleich nicht mehr hören kann) sein kann, sei dahingestellt.

Sicher ist, dass Telepathe die Zeiten schmuddeliger Sofas und feuchter Kellerapartments hinter sich haben sollten. Noch schwärmen sie vom großen Tourbus, in dem sie den Groß-DJ Diplo auf einer Tour begleiten durften. Noch haben Telepathe weder einen Wikipedia-Eintrag noch eine gut ausgestattete eigene Webseite. Mit „Dance Mother“ dürfte sich das alles ändern.

„Dance Mother“ von Telepathe erscheint am Freitag bei V2/Cooperative Music/Universal

René Hamann

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