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Nicholas Shakespeare: "Broken Hill"

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Nicholas Shakespeares Roman „Broken Hill": Allahs zweiköpfige Armee

Die Geschichte eines Wutprozesses: Nicholas Shakespeares Roman "Broken Hill" handelt von zwei jungen Männern, die Jahr 1915 in Australien ein Blutbad anrichteten.

Letztendlich glauben Molla Abdullah und sein Freund Gül Mehmet, dass der osmanische Sultan Mehmet V. recht hat: Die Europäer und ihre Verbündeten sind eine Beleidigung des Islams, „unreine Schweine“. Also schreiten die beiden zur Tat. Am Ende des Tages werden sie ein Blutbad angerichtet haben. Vorher konnte man zusehen, wie die Mechanik von Stigmatisierung und Radikalisierung funktioniert.

Der Engländer Nicholas Shakespeare, der heute überwiegend in Tasmanien lebt, hat seinen neuen, schmalen Roman an einer realen Geschichte entlang geschrieben. Gül Mehmet und Molla Abdullah haben tatsächlich am Neujahrstag des Jahres 1915 im australischen Broken Hill, einem Bergarbeiterstädtchen in New South Wales, einen Ausflugszug überfallen und begonnen, wild in die Menge zu schießen. Sie erschossen vier Menschen, bevor sie selbst von der Polizei getötet wurden. Shakespeare erzählt die Vorgeschichte als einem Wutprozess, an dessen Ende die Bluttat geradezu konsequent erscheint.

Mahlwerk von Bürokratie und Fremdenfeindlichkeit

Abdullah und Mehmet leben bereits seit mehr als 15 Jahren in Broken Hill. Sie sind Teil einer islamischen Community, die mit dem Schiff aus Afghanistan angekommen war, um auf dem neuen Kontinent Arbeit zu finden; „Camel Camp“, so nennen sie in Broken Hill den Bezirk. Gül ist hier gestrandet; sein Plan, mit Geld in die Heimat zurückzukehren, hat sich zerschlagen. Die Fremden sind keinesfalls integriert, werden aber als Einheit geduldet. Trotzdem sind es Menschen, denen die Wurzeln gekappt wurden. Der Wind dreht sich vollends mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Der Sultan unterzeichnet einen Vertrag mit den Deutschen und erklärt mithin die Kriegsgegner Deutschlands zu Feinden aller Muslime.

In Broken Hill wiederum ist es weniger die Bevölkerung im Allgemeinen als vielmehr die Obrigkeit in Gestalt des örtlichen Gesundheitsinspektors Dowter, die nun beginnt, Schikanen einzusetzen. Dowter zerrt den gelernten Metzger Abdullah vor Gericht, weil dieser angeblich Tiere ohne die erforderliche Genehmigung getötet habe und macht auch dem Eisverkäufer Gül wegen hygienischer Vorschriften Schwierigkeiten.

Nicholas Shakespeare führt auf engem Raum vor, wie die beiden Männer in einem Mahlwerk aus Bürokratie und Fremdenfeindlichkeit so lange drangsaliert werden, bis sie keinen anderen Ausweg mehr sehen als den blutigen Gegenschlag. Vernünftige Menschen, deren Blick nicht ideologisch verstellt ist, wie beispielsweise die junge Rosalind (die wiederum den Neffen des Gesundheitsinspektors heiraten soll), haben keine Chance, der Gewaltspirale etwas entgegenzusetzen.

Ein kurzer Roman, der möglicherweise, um Prägnanz zu erzeugen, ein wenig schematisch in seiner Figurenzeichnung vorgeht. Andererseits gelingt es Shakespeare, die Kette von Reiz und Reaktion vorzuführen. „Allahs zweiköpfige Armee“, wie die beiden genannt werden, kommt in „Broken Hill“ auf einem Eiswagen daher. Das ist ein wenig komisch, dient aber in der australischen Weite als Parabel für das Ganze – und ist als Stoff hoch aktuell.

Nicholas Shakespeare: Broken Hill. Aus dem Englischen von Georg Deggerich. Roman. Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2016. 128 Seiten, 18 €.

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