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Kultur: Nicht alles Rheingold glänzt

Das Private und das Öffentliche: Jörg Immendorff im Kölner Museum Ludwig

Eine merkwürdige Pressekonferenz: Selten kommen ins Kölner Museum Ludwig Bildreporter in Scharen, um einen Künstler abzulichten. Insbesondere, wenn es sich um einen im Rheinland wohlbekannten Maler wie Jörg Immendorff handelt. Der Ansturm allerdings galt nicht den Gemälden, sondern dem Düsseldorfer Akademieprofessor, der vor einem halben Jahr in einem Hotel bei Kokainkonsum und Prostituierten-Party verhaftet worden war.

Als Immendorff sich auf der Pressekonferenz dazu nicht äußern will, herrscht peinliche Stille. Keiner wagt nachzufragen, auch nicht nach der ominösen Sammlung „Rheingold“, aus der die Bilder der gezeigten Ausstellung stammen. Dabei hatte „Der Spiegel“ in seiner jüngsten Ausgabe Museumsdirektor Kasper König noch vorgeworfen, dass er das spekulative Sammeln seiner Leihgeber unkritisch durchgehen ließe – schließlich hat König mit der Ausstellung ein Werk für sein Haus erhalten. Anstelle der Kritiker geht König selbst in die Offensive: „Man kann die Peinlichkeit nicht weit genug treiben, um auf die Bilder aufmerksam zu machen.“ Und erinnert daran, dass Immendorff mit seinen Lidl-Bildern Kunstgeschichte geschrieben habe. Lidl war eine lebendige halb dadaistische, halb politische Bewegung, mit welcher der junge Hauptschullehrer Ende der Sechzigerjahre die bundesrepublikanischen Verhältnisse zum Tanzen brachte. Die Stoßrichtung war gesellschaftskritisch, ja direkt agitatorisch.

„Kampf gegen die politische Unterdrückung in BRD und DDR“ ist unter dem frühen Bild eines Lehrers zu lesen, der seinen Schüler die Faust reicht. Frühwerke wie diese bilden den Ausgangspunkt der Kölner Ausstellung. Auf einer Gouache von 1976 ist auch die leuchtend rote Plattform für Besucher zu sehen. Dieses große Holzpodest ist jetzt real im ehemaligen Heldensaal des Museums errichtet worden, der seit Königs Direktorium DC-Galerie heißt – in Anlehnung an die Stromstöße der Kunst. Denn ein Geschoss tiefer befindet sich passenderweise der AC-Saal, macht „AC:DC“. In der DC-Galerie also thront das Holzpodest, auf dem in großen gelben Lettern „Standort für Kritik“ prangt. Im Inneren der begehbaren Konstruktion erwartet den Besucher eine umlaufende Tischplatte, darüber Abbildungen der meisten seiner Gemälde. Draußen, von der Aussichtskanzel aus, hat man freien Blick auf die Wände. An ihnen hängen 23 Gemälde aus 30 Jahren. Ausliegende Kladden fordern die Besucher auf, ihre Meinung niederzuschreiben.

Kritik steht also im Zentrum der Immendorff-Ausstellung. Offen bleibt, ob Kritik mittels der Kunst oder an der Kunst. Denn die Morgenröte der Revolution will nicht mehr so richtig leuchten angesichts des weiten Wegs, den Immendorff seitdem zurückgelegt hat. Die Lidl-Bilder der Siebzigerjahre sind eindeutig, appellativ wie Moritatentafeln. Nur aufmerksamen Betrachtern erschließt sich die zuweilen die unfreiwillige Komik des Geschehens. Plakativ ist auch das Bild der Serie „Café Deutschland“ von 1982, mit der Immendorff das Nationale wieder in die Kunst der Nachkriegszeit einführte.

Die deutsche Geschichte, ihre Irrwege und Folgen aufzugreifen, war Anfang der Achtzigerjahre eine der unleugbaren Leistungen Immendorffs und seiner Malerfreunde. In den jüngsten Bildern hat sich allerdings die Aussage in eine beruhigte Pinselführung und geleerte Bildräume verflüchtigt. Mit der Steigerung malerischer Qualitäten ging eine inhaltliche Verflachung einher. Mittlerweile ist der Künstler bei der Allegorie angelangt, lässt sich von der flämischen und deutschen Renaissance beeinflussen, übernimmt von Hans Baldung Grien etwa eine Fortuna, die auf zwei Weltkugeln balanciert. Den Katalogumschlag ziert eine barocke Allegorie der Malerei: Zu der unbekleideten Personifikation der Malkunst tritt Apoll als Inbegriff der Inspiration vor die Leinwand. Das Sinnbild lässt ahnen, wo sich der Maler selbst sieht: bei den Alten Meistern. Nicht nur die Motive sind barock, auch die Formate.

Die wenig repräsentative Auswahl erklärt sich aus dem Bestand der „Rheingold“-Sammlung, aus der die Werke stammen. Hinter „Rheingold“ steckt ein Konsortium acht rheinischer Privatsammler, beraten vom Düsseldorfer Kunsthändler Helge Achenbach, das systematisch zeitgenössische Kunst erwirbt, um sie verschiedenen Museen des Rheinlands – Siegen, Mönchengladbach und Düsseldorf – auf Zeit zur Verfügung zu stellen. Auf den Vorwurf, die museale Präsentation steigere den Wert der Kunst, verweist Immendorff berechtigt ungehalten: Sein Renommée als Künstler sei bereits museal.

Und trotzdem hat die Sache einen Haken: Die regelmäßige und langjährige Präsentation der Sammlung in öffentlichen Häusern befreit sie von der Erbschaftssteuer. Kasper König nimmt das gelassen. Er hatte bei seinem Amtsantritt vor drei Jahren angekündigt, nun sei Schluss mit dem Museum als wertsteigerndem Zwischenlager, und trennte sich folgerichtig von Dauerleihgaben. Stattdessen umwarb er offensiv Mäzene mit der Ausstellung „Museum unserer Wünsche“. Mit „Rheingold“ will er nur punktuell zusammenarbeiten, so dass es legitim erscheint, wenn er dabei selbstbewusst ein in die Sammlung passendes Gemälde erhandelt. Bleibt die Frage, ob auch die Direktoren kleinerer, unter noch mehr Finanzdruck leidender Häuser solch merkantile Konsequenz durchhalten können? Den Künstler stört’s kaum. Er hat seine Museumsschau. Das zählt am Ende, selbst nach noch so skandalträchtigen Eskapaden.

Museum Ludwig, Köln, bis 16. Mai. Katalog 14,80€.

Michael Krajewski

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