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Kultur: Nicht aufhören, Mann!

Die Berliner Galerie Anselm Dreher feiert 35. Jubiläum

Die Künstler des Minimalismus und der harten Kanten haben ihre polemischen Energien gegen Pop-Art, Expressionismus und Realismen aller Art verbraucht. Zwar sind ihre Gegenspieler lebendiger denn je, aber Minimalkunst gehört heute zum Repertoire von Museen – mit der Sammlung Marzona auch in Berlin. Aber niemand verbindet damit noch einen Kampfbegriff. Die Haudegen von einst – Don Judd, Sol LeWitt, Robert Morris, Lawrence Weiner, Carl Andre sind altersweise und mild geworden oder bereits verstorben. Minimalkunst avancierte nie zum Publikumsmagnet, weil sie vielen blutleer, spröde, kalt erscheint. Und die Künstler, die diese Tradition beerben, haben das Glück oder Pech, Varianten zu variieren. Denn keine Sprache ist so leicht zu lernen und so schwer anzuwenden. Gerade Linien, klare Formen, einfaches Material, wenig oder keine Farbe – fertig ist das Werk.

Verboten ist, was nicht auf Rationales rückführbar ist. Und wenn aus einem Ensemble von Klarheiten eine schöne Unklarheit geworden ist, dann ist es Kunst. Deshalb springen Fehler grell ins Auge. Da es innovative Extremisten kaum noch gibt und sanfte Mischformen üblich sind, sieht man ältere Künstler ihre Identitätsmarke verwalten und jüngere an der Grenze mit Produkt-Design flirten. Der Galerist Anselm Dreher, der die Flagge mit der Aufschrift „Weniger ist mehr“ wie eh und je hochhält, bietet mit Protagonisten von Armleder bis Zobernig zum 35. Galerienjubiläum wieder neue Varianten erster Güte und mit „Mann, hör auf!“ obendrein noch einen selbstironischen Ausstellungstitel.

Lawrence Weiner setzte neben Rechtecken auf weiße Wand in schwarzen Lettern: put wheresoever (etwa: passt überall). Banausen sagen: „So what?!“ Kenner sagen: „Ah! Ganz der Alte – raumbezogen und gewieft.“ Die Schrift gibt sich ihrer selbst bewusst und trägt es vielleicht ein wenig zu sehr zur Schau. Aber von Weiner erwartet man keine Revolution der Formen mehr, sondern nur, dass er seine eigene Form auf Niveau hält. Das ist der Fall.

Ebenso bei Olivier Mosset mit makellosem lackierten Quadrat. Oder bei Rolf Julius mit zwei roten und zwei schwarzen Lautsprechern, in denen – was sonst? – rotes und schwarzes Pigment beschallt wird. Man darf dies alles zu den salonkünstlerischen Werken zählen. Sie bestätigen den Kanon. Als ob Frank Sinatra in alten Tagen „I did it my way“ singt. Hört man auch immer wieder gerne.

Bleiben die drei Künstler, die exemplarisch dorthin deuten, wo die Grenzen zum Design fließend werden und die Werke außerhalb der Galerie leicht im Interieur verschwinden. Gerold Miller hat die Problematik unlängst im Hamburger Bahnhof vorgeführt. So auch in der Galerie: Seine glanzlackierten Alurahmen rahmen das Vorübergehende ein. Damit springt er zurück ins 19. Jahrhundert, als die Fassung des Dauerhaften im Kontrast zum Flüchtigen noch eine Devise für Poeten und Künstler war. Miller springt aber auch in den anhaltenden Diskurs über Ein- und Ausgrenzungen und ist damit aus allem raus. Sein Werk dient gewissermaßen als Instrument für Wunschkonzerte. Es will allen alles Mögliche sein. Kurzum: ein geniales Pendant zum Rorschach-Test auf Minimalbasis.

Dagegen bleibt Heimo Zobernig, trotz seiner Ausflüge ins Design, die er etwa 1997 unternahm, als er die Buchhandlung der Documenta gestaltete, ein Hardliner mit Pressspanplatten. Er meidet Oberflächenreize, verlässt sich allein auf Volumen, Maß und Platzierung und stellt quadratische Pfeiler in die Galerie. Mit einer Kantenlänge von 28 Zentimetern – dem Maß für Ziegel – bescheren sie Maurern und Architekten ein glückliches Déjà-vu-Erlebnis, gerade weil die Bezüge dezent und die Pfeiler nicht mehr sein wollen, als sie sind. Die Grenze zum Top-Design hat John Armleder erreicht, der zwei runde Neonröhren und zwei Tische von Marcel Breuer mit Hilfe des Goldenen Schnitts so perfekt zum Wandbild arrangierte, dass sich um diese überall käuflichen Objekte ein Bannkreis bildet. Reine Magie: Man zögert, sie zu berühren. Das kann zwar jeder jederzeit zusammenstellen. Aber soweit zu sehen ist, hat Armleder es nicht nur gekonnt, sondern auch getan. Der Rezensent empfiehlt diesen Prototyp zur Nachahmung, der Galerist zum Kauf.

Galerie Anselm Dreher, Pfalzburger Straße 80; bis 25. Januar; Dienstag bis Freitag 14- 18 Uhr 30, Sonnabend 11-14 Uhr.

Peter Herbstreuth

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