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Nicht OHNE mein. . .: Bauchtäschchen

Wenn einer eine Reise macht, nimmt er ein paar Sachen mit, auf die er unterwegs nicht verzichten kann. Kleine Sommer-Serie über das Rüstzeug des mobilen Menschen.

Einmal bin ich am Ku’damm in den Bus gestiegen und ohne Portemonnaie wieder ausgestiegen. Ein andermal bin ich vom Bahnhof Zoo mit dem Zug losgefahren und in Amsterdam ohne Portemonnaie angekommen. Ein drittes Mal wollte ich am Bahnhof Lichtenberg in den Nachtzug nach Wien steigen, vor dem mich alle gewarnt hatten, jeder hatte eine schöne Schauergeschichte parat – und dann wollte mir tatsächlich ein Mann, der aussah, wie man sich gemeinhin einen balkanesischen Gauner vorstellt, beim Tragen helfen. Nein, nein, brauche er nicht, ich klammerte mich an den Koffer, an dem er zerrte, wie die fieseste Rassistin kam ich mir vor und merkte nicht, wie sein Kumpel mir von hinten das Portemonnaie aus der Handtasche klaute. Also musste ich in Lichtenberg wieder aussteigen, ohne abzufahren, denn ohne Personalausweis kam man Mitte der 90er Jahre nicht durch die tschechische Republik. Dafür erlebte ich dann eine Original-DDR-Bahnhofs-Polizeistube. Es gibt schönere Urlaubsorte.

Wer reist, lebt gefährlich. Aber das ist Teil des Vergnügens: Das Ausgeraubtwerden gehört zur Urlaubsfolklore. Es zu erleben, ist schlimm, aber hinterher hat man was zu erzählen.

Was tun? Zu Hause bleiben, ankommen, ohne wegzufahren? Auch keine schlechte Idee. Oder die Rüstung anlegen. Neben Wolldecken, Bettvorlegern, Tafelsilber und Vorhängeschlössern gehörten Pistolen und Messer ganz selbstverständlich ins Gepäck des Bildungsreisenden im 18. Jahrhunderts. Ich habe mich für passiven Widerstand entschieden und mir eine Känguru-Tasche gekauft. Nicht so eine ausgebeulte, wie sie die Touristen tragen, wer will schon einer dieser Touristen sein, die im Urlaub immer ihre scheußlichsten Freizeitkleidungsstücke aus dem Schrank holen. Nein, eine nach innen gekehrte, unsichtbare. Zumindest wenn man daran glaubt. In Wirklichkeit sieht man damit immer aus, als hätte man mittags zu viel gegessen.

Wie einen Keuschheitsgürtel schnalle ich mir die beige Stofftasche, die aussieht, als käme sie aus dem Sanitätshaus, unter die Hose. Es ist mir immer ein bisschen peinlich, wenn’s ans Bezahlen geht und es aussieht, als würde ich mir in die Unterhose greifen, um die Kreditkarte raus zu ziehen. Egal. Es wirkt. Seitdem hat mir kein Gauner mehr mein Portemonnaie geklaut.

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