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Kultur: Nicht ohne mein Dogma

Zum 90. Geburtstag des Philosophen Roger Garaudy

Einen „wahnsinnigen Stolz“ hat er sich selbst attestiert,und nicht weniger als sein eigenes „philosophisches Testament“ schrieb Roger Garaudy 1968 mit seiner „Biographie des 20.Jahrhunderts“. Die hochfahrende Geste passt zu einem Mann, der sich in den Dienst fast jeder Ideologie gestellt hat, der zum Missionar des Kommunismus, des Protestantismus, des Katholizismus wurde, der das Heil in der Feminisierung der Gesellschaft und im ökologischen Protest suchte – um schließlich zum Islam zu konvertieren und sich in den Reihen der Holocaust-Leugner wiederzufinden.

Dabei verbrachte der kommunistische Philosophieprofessor aus Marseille selbst fast drei Jahre in einem Konzentrationslager, bevor ihm die Flucht gelang. Die französische KP, deren nach eigener Aussage „militanter“ Chefideologe er wurde, blieb auch nach dem Krieg für Jahrzehnte seine geistige Heimat. 1970, zwei Jahre nachdem er den sowjetischen Einmarsch in Prag begrüßt hatte, brachten ihm moskaukritische Äußerungen schließlich den Parteiausschluss. Da hatte sich Garaudy, ursprünglich Protestant, längst dem Katholizismus angenähert und den Brückenschlag zwischen Transzendenz und diesseitiger Erlösung gesucht.

Wohl warfen ihm Kritiker vor, sich stets nur neuen Sinnsystemen an den Hals zu werfen. Doch sie verkannten die unheimliche Doppelbewegung aus Dogmatismus und Überschreitung, die das geistige Leben eines Mannes ausmachte, der nach dem Krieg Umgang mit den tonangebenden literarischen Figuren seines Landes pflegte, mit Paul Eluard, Louis Aragon, Gaston Bachelard und Saint-John Perse. Stets strebte Garaudy nach einer Verbindung von Absolutem und irdischer Gemeinschaft – und wurde immer aufs Neue enttäuscht von dem, was er die „Dschungelkrankheit“ nannte, den Verrat der ursprünglichen Idee, den Willen zur Macht aller real existierenden Kirchen.

Auch der Islam, zu dem er 1982 übertrat, galt ihm als „kranke Gemeinschaft“. Im Koran aber und in den Herzen von Millionen von Menschen wähnte Garaudy die „Synthese zwischen der Transzendenz und der Gemeinschaft des Kampfes“, zwischen Jesus und Marx. Durch antiisraelische Schriften wurde er bald zum Star in der arabischen Welt; seine Vortragsreisen glichen Triumphzügen. Doch Garaudys durchgängige Polemik gegen den amerikanischen „Monotheismus des Marktes“ mutierte bald zu einem verbissenen Antizionismus. 1996 veröffentlichte er, der einmal auch hierzulande gefeierte Studien zu philosophischen Klassikern schrieb, ein Buch, das wohl nicht nur in der Frankfurter Universitätsbibliothek im Giftschrank steht. „Die Gründungsmythen der israelischen Politik“ soll zeigen, dass die Angaben über die Zahl der Opfer und den Charakter des Völkermords an den Juden in Wirklichkeit nichts weiter als ein Instrument gewesen seien, um die Gründung des Staates Israel zu rechtfertigen.

Für derlei Thesen erhielt Garaudy Beifall auch in der hiesigen NS-Szene. In Frankreich hingegen handelte sich der längst an den Rand gedrängte Autor 1998 eine Verurteilung wegen Leugnung von Verbrechen gegen die Menschheit ein, die gerade vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bestätigt wurde. Heute feiert Roger Garaudy, der dafür plädierte, die Welt „zu umarmen und sich dabei wund zu scheuern oder sich die Hände schmutzig zu machen“, seinen 90. Geburtstag.

Michael Adrian

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