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Nicht OHNE meine ...: Sonnenbrille

Mein Großvater hätte die Frage, ob sie ein Körperteil ist oder zum Kerndesign persönlicher corporate identity gehört, kaum verstanden. Für ihn waren dunkle Augengläser gleichzusetzen mit Missachtung des geliebten Sonnenscheins.

Mein Großvater hätte die Frage, ob sie ein Körperteil ist oder zum Kerndesign persönlicher corporate identity gehört, kaum verstanden. Für ihn waren dunkle Augengläser gleichzusetzen mit Missachtung des geliebten Sonnenscheins. Ich habe mich anders entwickelt.

Als Teenager fand ich, irgendwo auf der Straße, eine Riesensonnenbrille, die fürs Outfit von „Sly and the Family Stone“ das I-Tüpfelchen dargestellt hätte; das Megateil gehörte fortan zu mir, wurde aber auf der Klassenreise durch einen Mitschüler in der Donau versenkt. Schadensersatzforderungen, bemessen am astronomischen Ladenpreis der Fundsache, blieben unbefriedigt, bildeten aber den Grund einer langjährigen Schülerfeindschaft. Drei Jahrzehnte später hat mich der Fluch der Sonnenbrille ein weiteres Mal eingeholt: als ich der Redaktion eines rheinischen Stadtmagazins angehörte, über der ein Verständlichkeits-Verdikt ausgerufen worden war. Aufgrund des Gebotes fühlte ich mich bemüßigt, die in einem coolen Sommer-Reim erwähnte „Ray Ban“ mittels einer Fußnote als „Markensonnenbrille“ zu erläutern, was zum Ausrasten des Szene-Redakteurs führte – so ideologisch verbissen ging das damals zu.

Mittlerweile ist mein Großvater tot, der ausrastende Kollege redigiert den „Playboy“, und ich selbst bin schon oft einer vergessenen Edelbillig-Sonnenbrille hysterisch nachgelaufen, da für mich „ohne“ kaum eine Stadtfahrt im Winter, geschweige denn ein Urlaub denkbar wäre. Dabei geht es weniger um Stil als um meine empfindlichen Augen; auch um den Genuss kostenloser Dienstleistung. Mit dem wackligen Stück ins Fachgeschäft zu gehen, Schrauben nachziehen, Gläser putzen lassen, nichts zahlen – das ist der allerletzte Gratis-Service; zu erleben von dem, der seinen angekratzten sun glasses durch alle Moden die Treue hält.

Trotzdem habe ich dieser Tage ein nagelneues Exemplar von einer netten jungen Dame angenommen. Sobald ich Euphorie zeigte, stellte sich das Geschenk als genau jenes Markenmodell heraus, das neulich in dem gestylten Film, den ich so blöd gefunden hatte, der lebensmüden Hauptfigur im Gesicht steckte. (Keine Ray Ban!) Die dazugehörige Wildlederhülle hat das Format eines XL-Baguettebrötchens. Vielleicht gibt es doch das richtige Leben im falschen. Der Höhepunkt des Fußnoten-Gedichtes lautete übrigens: „Wer jetzt keine Ray Ban sein eigen nennt / der hat die Sommerzeit verpennt.“ Über perfekte Lyrik mag man streiten. Aber inhaltlich ist was dran.

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