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Kultur: Nicht ohne meinen Regisseur

Die "enge Zusammenarbeit zwischen Autor und Regisseur" hatte Jury-Mitglied Luc Bondy gelobt, als er Jan Bosses Inszenierung von Marius von Mayenburgs "Psychopathen" bei den Wiener Festwochen 1998 mit dem ersten Preis auszeichnete.Das Auftragswerk, eine Paraphrase von Hitchcocks "Psycho" und ab Freitag als Gastspiel in den Sophiensälen zu sehen, war die erste gemeinsame Arbeit der beiden und hat den Grund gelegt für eine fruchtbare Künstlerfreundschaft.

Die "enge Zusammenarbeit zwischen Autor und Regisseur" hatte Jury-Mitglied Luc Bondy gelobt, als er Jan Bosses Inszenierung von Marius von Mayenburgs "Psychopathen" bei den Wiener Festwochen 1998 mit dem ersten Preis auszeichnete.Das Auftragswerk, eine Paraphrase von Hitchcocks "Psycho" und ab Freitag als Gastspiel in den Sophiensälen zu sehen, war die erste gemeinsame Arbeit der beiden und hat den Grund gelegt für eine fruchtbare Künstlerfreundschaft."Nicht ohne meinen Regisseur" hatte Marius von Mayenburg daher auch den Wunsch nach einem Einzelinterview gekontert: "Da kann man sich die Bälle besser zuspielen".

Bälle zuspielen, das tun die beiden in der kurzen, intensiven Interview-Stunde im Café am Senefelder Platz."Willst du, oder soll ich?" lautet der Einstieg auf die erste Frage.Im Folgenden wandert der Gesprächsfaden unaufhörlich von Hand zu Hand, wird hier aufgenommen, während dort gedacht wird, und wieder zurück.Denn gedacht wird viel, ungewöhnlich viel, in diesem Gespräch.Beide sind sie keine Freunde großer Worte, der 26jährige Autor und sein 29jähriger Regisseur, die sich in ihrer stillen, zurückhaltenden Art nur allzu ähnlich sind.In ihrem Gespräch ist das Zögern ebenso am Platz wie der entschiedene Widerspruch oder der feine Witz.Und was gewinnt, ist die intelligente Analyse.

"Theater, das ist zuallererst Dialog", verwehrt sich Jan Bosse gegen das gängige Klischee vom Kampf des Autors gegen den Regisseur.Vorwürfe, daß der Regisseur das Stück zertrümmere oder der Autor unflexibel an jedem Wort hänge, bewiesen einen Mangel an Dialog.Daß beiden der Dialog nützt, wird deutlich, wenn man ihr Gespräch beobachtet.Vom Genuß, "ins Schreiberhirn" zu blicken, ist da die Rede, und von der Neugierde auf die fremde Phantasie.Und davon, wie offen man Kritik üben könne, wenn man sich kenne.

Dabei hätte zumindest Marius von Mayenburg jeden Grund, Starallüren zu entwickeln.Der Sohn eines Münchener Ärzte-Ehepaars gilt spätestens seit "Feuergesicht" als eine der Theaterhoffnungen Deutschlands.Schon während des Studiums an der Berliner Hochschule der Künste machte er bei einer Lesung Furore mit seinem Stück "Papi ist tot".Es folgte sein erstes großes Werk "Haarmann", die Kleinbürger-Farce "Fräulein Danzer", die Groteske "Monsterdämmerung" und schließlich, 1997, das Pubertätsdrama "Feuergesicht", für das er mit dem Kleist-Förderpreis für junge Dramatiker ausgezeichnet wurde.Natürlich war auch die Baracke des Deutschen Theaters nicht fern, wenn es um die Entdeckung junger Talente ging.Seit vergangenem Jahr ist Marius von Mayenburg als dramaturgischer Mitarbeiter dem Baracken-Team angegliedert, das er auch an die Schaubühne begleiten wird.Im April wird Thomas Ostermeier "Feuergesicht" am Hamburger Schauspielhaus inszenieren.

"Zeigen, was passiert, wenn man Konflikte bis zum Ende durchführt" gibt von Mayenburg als Ziel seiner Dramen an.Und erklärt so die extreme Gewalttätigkeit seiner Stücke.Denn "vom Konflikt zur Gewalt ist es nur ein Schritt." In den Dramen des 26jährigen wimmelt es von Massenmördern, Brandstiftern, Inzest und Vergewaltigung: "Monsterstücke", titelte die öffentliche Meinung in Anlehnung an seine "Monsterdämmerung".1995 fand von Mayenburg in der Lebensgeschichte des Massenmörders Haarmann einen Stoff, der ihm so reich an Konflikten erschien, daß er während der einjährigen Arbeit an seinem ersten Drama immer wieder dachte: "Komisch, daß noch keiner auf die Idee gekommen ist." 1995 war es dann soweit: "Haarmann" war fertig - und zwei Wochen später kam Romuald Karmakars Film über das gleiche Thema ins Kino."Anfängerpech", erklärt von Mayenburg, den das Erlebnis zunächst "traumatisiert" hat.Den Film hat er bis heute nicht gesehen, das Stück ist auch nicht aufgeführt worden.

Heute abend bringt die Baracke es in Form eines "Hörspiels" zur Uraufführung.Keine Schauspieler auf der Bühne, nur eine Aufnahmetechnik, die mittels Mehrkanal räumliches Hören ermöglicht."Kino für die Ohren" charakterisiert von Mayenburg die neue Form, die gerade seinem fragmentarischen, durch schnelle Schnitte gekennzeichneten Stück entgegenkommt."Haarmann darstellen, wäre sehr schwierig", weiß auch Bosse um die Tücken des Stoffs, und der Autor betont: "Das Stück lebt aus der Sprache, die ganze Geschichte, der ganze Konflikt liegt in der Sprache".

Konflikte, gefaßt in klare Sprache, zeichnen auch "Feuergesicht" aus, dessen Uraufführung Jan Bosse im Oktober dieses Jahres auf Wunsch von Mayenburgs an den Münchener Kammerspielen inszenierte.94 kurze Szenen entwickeln die inzestuös-pubertäre Liebe zweier Geschwister, die diese aus der Welt und in eine autistische Zerstörungswut wirft."Die Familie, aus deren Konflikten die Gewalt entsteht, ist die Keimzelle der Gesellschaft.Das ist genuin politisch", verteidigt Bosse den Freund gegen den Vorwurf eines unpolitischen Privatismus.Von Mayenburg sucht Extreme, wie sie nur das Theater bieten kann: "Kompromisse sind der Normalzustand.Auf der Bühne kann man unausgetragene Konflikte zu Ende denken und erkennen, worauf sie beruhen."

Eine Erkenntnis, die ohne Wertung ist: "Je genauer man einen Gegenstand betrachtet, desto vielgesichtiger wird er.Und dann stellt man fest, daß es schwierig ist, eine Schuld zuzuweisen", setzt sich von Mayenburg vom engagiert politischen Theater der 60er und 70er Jahre ab: "Da ging es darum, durch Theater die konkreten politischen Verhältnisse zu verändern und von der Bühne herab die Schuldigen zu benennen.Ich denke, in diese Richtung geht es nicht weiter." Und Jan Bosse pflichtet ihm bei: "Das ist gerade das Moderne am Theater, daß es nicht wertet, nicht alles sofort erklärt und definiert, sondern differenziert und analysiert.Im Theater darf man die Fragen stellen und die Antworten offenlassen."

Gerade dies, die Fragen und verweigerten Antworten, geben die beiden als Grund an, warum Theater immer noch, immer wieder und immer neu aktuell ist.Und sie liefern dabei gleichzeitig eine Liebeserklärung an das Metier, die deshalb bezwingt, weil sie so unaufgeregt vorgetragen ist."Kaltes Feuer" hatte eine Kritik Marius von Mayenburgs preisgekröntem Erfolgsstück "Feuergesicht" bescheinigt.Kaltes Feuer brennt auch in Autor und Regisseur selbst: Das intellektuelle Feuer der Erkenntnis.

"Haarmann": heute, 20 Uhr, als "Hörraum" in der Baracke."Psychopathen": Freitag, 26.1., 20 Uhr und 23 Uhr.Sonntag, 31.1., 16 und 20 Uhr

CHRISTINA TILMANN

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