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Kultur: Nicht weit vom Stamm gefallen

Unsere Probierrunde kostete regionaltypische Apfelsäfte - vor allem von brandenburgischen Obstwiesen.

Ernteerzeugnisse spiegeln die Region auf eigentümliche Weise. Ganz nüchtern rücken sie nicht nur Acker und Wiese ins Blickfeld, sondern auch viele Jahre, die jeweilige Saison sowie die Arbeit mit dem Know how von Generationen. Die Extrakte der Ernte sind dann so etwas wie Memoiren. Sie geben nicht ganz das wieder, was eine Frucht zu bieten hat, beeilen sich dafür jedoch, ein klares Bild zu entwerfen, Charakter, Essenz, schliesslich die Seele wiederzugeben. Ein solches Erinnerungsprodukt ist der Apfelsaft, wenn er denn von ökologisch orientierten und regional verankerten Manufakturen stammt.

Auf den Berliner Weinhandlungs-Pionier Holger Schwarz von „Viniculture“ kam also diesmal die Aufgabe zu, solche Säfte mit derselben fachlichen Kenntnis zu interpretieren wie sonst Weine. Zunächst wurden gekühlte Naturkostsäfte von Streuobstwiesen, also Cuvées, in langstielige Weißweingläser gefüllt. Gleich der erste begann mit einem Duft, der noch häufig wiederkehren sollte: dem der Birne.

Doch im Fall des weit verbreiteten „Elm“-Apfelsafts aus der Rhön schien der Apfel überhaupt weit vom Stamm gefallen, so dass lediglich ein kurzes Aroma von Apfelmus zu schmecken war, das von anhaltender Säure gegängelt wurde. Einen ähnlich unausgeglichenen Eindruck hinterliess „Gut Krauscha“, den die Delikatesshandlung Goldhahn & Sampson führt. An diesem Boten aus Neisseaue nördlich von Görlitz gefielen zunächst ein kräftiger Ananasduft und eine Dichte, die den Mund sofort ausfüllt. Allerdings folgt ihr kein analoger geschmacklicher Ausdruck, sondern eine seltsame Leere – sozusagen eine Schorle ohne Prickeln.

Gar ein wenig angegegoren in der Nase wirkte „Van Nahmen Späte Ernte“, der wie alle Produkte der Privatkelterei am Niederrhein aus dem Charlottenburger Weingeschäft „Vinum“ stammte. Facettenreich zwar und von angenehmer Seifigkeit, bleibt doch der Eindruck großer Süße zurück. Ebenfalls als „Spätlese“ bezeichnete Schwarz die „Bio-Obsthof Wolfgang Riedel Süße Mischung" (mit 1,80 Euro für einen Liter der günstigste Testteilnehmer), die im Biomarkt Joachimsthaler am Savignyplatz vertrieben wird. Bei diesem Saft aus der Uckermark spürte Schwarz den Bauernhof, die „organische, ja animalische Note" und klassifizierte ihn als „typischen Tagessaft“, bei dem eine schöne, nicht in die Finessen gehende Entwicklung am Gaumen in eine Ahnung von Honig münde.

An das Werk der Bienen muss auch denken, wer den Saft von vom „Obstgut Nuhnenvorwerk“ kostet. Die Domäne bei Frankfurt/Oder unterhält einen Hofladen in Schöneberg, wo es nicht nur den Saft gibt, sondern auch diverse alte Sorten in Breitkugelgestalt (sowie mit „Romance“ eine unglaublich reiche Kartoffelsorte!). Leider ist der aktuelle Jahrgang recht wässrig geraten und kann lediglich mit gewohnt herzhaft frischer Art sowie der Eignung zur Schorle aufwarten. Erstaunlich ist, dass der "Birne-Apfelsaft" dem großartigen Apfel-Geschmacksbild vergangener Jahre sehr nahe kommt.

Nach reiflicher Prüfung und wiederholten Quervergleichen stachen aus einem insgesamt starken Feld drei Marken heraus – und mit ihnen drei Richtungen. Nicht bloß im Aussehen erinnert der im Biosupermarkt gekaufte „Augustin“ aus Jork im Alten Land an milchig-trüben Traubensaft. Wie ein Schwungrad treibt ein birniges Parfum das mostige Anfangsaroma förmlich vor sich her und sorgt für leicht herbe, trügerische Leichtigkeit. In Wahrheit liegt der angenehm zurückhaltende Apfelsaft vom Hamburger Stadtrand nach gar nicht einmal reichlichem Genuss genauso schwer im Magen wie alle anderen Naturtrüben auch.

Man würde sich wünschen, dass „Haus Lichtenhain“ von Goldhahn & Sampson hier eine Ausnahme bildete, denn Daisy Gräfin von Arnims Flaschenobst scheint wie gemacht dafür, einen heißen Sommertag zu erfrischen. Ihr Fruchtexzerpt beginnt mit einem Duft, aus dem Grappa und Pfirsich so deutlich hervorlugen, dass sich Schwarz an einen Bellini erinnert fühlte. Auf der Zunge folgt eine nahezu perfekte Komposition, in der Birne, Quitte und Mango auszumachen sind.

Ohne auf Vollkommenheit zu schielen, besitzt der „Neurüdnitzer Herbstapfel“ der Hofmosterei Christian Filter" (Garlipp sowie Weit der Weine) den handfesten Grundriss einer wiesenreinen Mischung. Ein Dutzend Sorten, darunter Kaiser Wilhelm, Gelber Köstlicher, Goldparmäne und Landsberger Renette, geben ihm eine klare Ausrichtung. Bereits der Duft hält die Mitte zwischen Apfel, Birne und Quitte, die von einem Anflug Holzfass und Honigwachs wie geerdet erscheint. Im Mund treten Süße und Säure zusammen auf und bleiben das während des sehr langen Geschmacksverlaufs. Nicht weit vom diesem Oderbruchsaft entfernt ist „Später aus Parlow“ aus der Schorfheide. Der winzige Unterschied liegt in dezenten Zitrusnoten und einem weichen, fast samtigen Abgang. Jan-Göran Barth, der Koch des Bundespräsidenten, hat Filters Späten für den Neujahrsempfang des Chefs ausgewählt.

Während der anschließenden Verkostung von sortenreinen Säften kam in Holger Schwarz die Profession erst richtig zur Geltung. Denn wie Wolfgang Riedels „Auralia“ und „Undine“ sowie Van Nahmens „Elstar“ und „Kaiser Wilhelm“ zeigen, sind es vor allem die Nebentöne und Nuancen, die man wie bei einem guten Wein Schluck für Schluck aufspüren kann. Denn, so Neu-Pomologe Schwarz, „da kommt immer noch etwas."

Viniculture, Charlottenburg, Grolmanstr. 44/45

Apfelgalerie, Schöneberg, Goltzstr. 3

Goldhahn & Sampson, Prenzlauer Berg, Dunckerstr. 9

Joachimsthaler Bio-Supermarkt, Charlottenburg, Grolmanstr. 48

Vinum, Charlottenburg, Danckelmannstr. 29

Weinhandlung Garlipp, Mitte, Große Hamburger Str. 1

Welt der Weine, Prenzlauer Berg, Winsstr.17

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