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Vorbild. Fresko des Heiligen Franziskus, entstanden um 1278 in Assisi. Foto: dpa

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Kultur: Nicht zwei Hemden, keine Schuhe

Der Antikapitalist Franz von Assisi hat oft Konjunktur. Zuletzt würdigte ihn Bodo Kirchhoff literarisch.

Franziskus also. Der erste Papst, der sich nach Franz von Assisi benennt. Allein das ist schon erstaunlich. Franz von Assisi, der Armut predigte, mit den Tieren lebte und zu seiner Zeit, im 12. Jahrhundert, als Sonderling galt. Viel Spott soll der Einsiedler und Wanderprediger geerntet haben, aber auch Zuneigung, freudige, von Glockengeläut begleitete Begrüßungen, wenn er in eine Stadt kam. In jedem Fall trug ihm seine Wunderlichkeit zahlreiche Anekdoten in den Heiligenlegenden ein.

Zum Beispiel die von den Tuchballen seines Fabrikantenvaters, die er für den Wiederaufbau einer kleinen Kirche verkaufte. Öffentlich zur Rede gestellt, soll Franz sich in Anwesenheit des Bischofs nackt ausgezogen und anstelle seines irdischen Vaters den himmlischen angerufen haben. Oder die von Papst Innozenz III., der Franz die Erlaubnis zur Armut gab und zur Ordensgründung, nachdem ihn die Vision von einem bettelarmen Mönch ereilte, der die Mauern der römischen Laterankirche stützt.

„Ihr sollt weder Gold noch Silber noch Kupfer in euren Gürteln haben, auch keine Reisetasche, auch nicht zwei Hemden, keine Schuhe, auch keinen Stecken.“ Diese Passage aus dem Matthäusevangelium war, so heißt es, für den jungen Franz ein wörtlicher Auftrag. Gewaltverzicht, Konsumverzicht, Gemeinsinn: So einer hat Konjunktur, nicht nur in kapitalismuskritischen Zeiten. Giotto und Cimabue malten ihn, auch Caravaggio und der auf Spiritualismus bedachte El Greco. Hermann Hesse und Luise Rinser schrieben Franziskus-Romane, der Katholik Olivier Messiaen widmete ihm seine einzige Oper. Und die Politologen Peter Kammerer, Ekkehard Krippendorff und Wolf-Dieter Narr publizierten 2008 ein Buch über alternative Lebensformen in der Krise unter dem Titel: „Franz von Assisi. Zeitgenosse für eine andere Politik“.

Ein Entsagender also. Und ein sehnsuchtsvoll Liebender. So jedenfalls darf man annehmen, wenn man dem Franziskus-Bild folgt, das Bodo Kirchhoff in seinem 2012 erschienenen Roman „Die Liebe in groben Zügen“ entwirft. Seinem Gegenwartspersonal, das sich nicht wenig um die Wahrung seiner Besitzstände sorgt, sich aber gleichzeitig in komplizierte und aufwühlende Liebesfriktionen verstrickt, setzt Kirchhoff in einem parallelen Erzählstrang die Geschichte des Heiligen Franz und der Heiligen Klara entgegen. Ein Mythos, von Kirchhoff in eine transzendente Erfahrung von Entsagung, Begehren, Verlust und Erfüllung hochliterarisch verwandelt.

„Franz und Klara“, heißt es gleich auf der ersten Seite, „das Jahr zwölfhundertsechsundzwanzig, er halbblind und singend, den Spatzen nah, sie sein betender Schatten – Verrückte aus heutiger Sicht.“ Diese Geschichte, hat Kirchhoff erzählt, sei der Motor des (so umfangreichen wie großartigen) Romans gewesen; viele Jahre habe er sich damit beschäftigt, sei auf der Suche nach einer adäquaten Sprache gewesen. In „Die Liebe in groben Zügen“ hat er sie gefunden. Geschickt verquickt er die oberitalienischen Schauplätze der apostolischen Reisen des Franz von Assisi mit den biografischen Stationen seiner Protagonisten in der Jetztzeit.

Sogar eine Art Märtyrertod findet im Roman statt, in Assisi. Es ist allerdings kein Mensch, der da stirbt, sondern der Hund von Vila und Renz, den beiden Hauptfiguren; ein Unfall, verursacht durch Renz’ Schuld, eine Familientragödie und eine der bewegendsten Szenen im ganzen Roman. Nicht nur nach Rom, auch zu Franz von Assisi führen viele Wege.

Christoph Schröder (mit chp)

Christoph Schröder (mit chp)

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