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Kultur: Nichts ist alles

Das Berliner Georg-Kolbe-Museum entdeckt die Zeitlosigkeit von Max Klingers Menschenbild

Vor 100 Jahren hielt man ihn für den neuen deutschen Michelangelo. Max Klinger, dessen 150. Geburtstag in diesem Jahr die Museen von Chemnitz bis Karlsruhe mit Ausstellungen feiern, war ein Künstler, dem alles zu gelingen schien: Berühmt wurde er 1880 als Grafiker, mit virtuos radierten Zyklen wie „Der Handschuh“, in denen er sexuelle Obsessionen und das neue, vor allem männliche Zeitgenossen beunruhigende Verhältnis der Geschlechter thematisierte. Die Surrealisten, voran Max Ernst und de Chirico, haben ihn dafür geliebt.

1890 trat Klinger mit programmatischen Gemälden wie „Christus im Olymp“ vors Publikum. In ihnen konstruierte er mit Hilfe athletisch gebauter Nackedeis ein bildliches Äquivalent zu Friedrich Nietzsches Übermenschen. Erneut hatte Klinger den flackernden Zeitgeist, nun die weltanschauliche Kraftmeierei vor dem Ersten Weltkrieg, erfasst.

Zeitgleich machte der in Karlsruhe und Berlin ausgebildete Maler als Bildhauer von sich reden. Auch das Berliner Georg- Kolbe-Museum widmet Klinger, dem Figurenerfinder, nun eine Ausstellung. „Max Klinger – Auf der Suche nach dem neuen Menschen“ spürt dem von Lebensreformen und Ästhetizismus der Jahrhundertwende geprägten Menschenbild des Künstlers nach. Sie beschränkt sich auf Skulpturen und wenige Gemälde. These der Ausstellung: Der um die Würde und Autonomie der Figur ringende Maler und Bildhauer war ähnlich zukunftsweisend wie der vor Fabulierlust schier platzende Grafiker.

Dabei erscheinen die Anfänge von Klingers Menschenbilderkundung eher bescheiden. Seinen ersten Frauenakt, kleinformatig und noch ganz der akademischen Hell-Dunkel-Tradition verhaftet, malt Klinger 1880. Vier Jahre später folgt das Gesamtkunstwerk: Im Vestibül der nicht mehr erhaltenen Villa Albers in Berlin-Steglitz kombiniert Klinger wandfüllende Malerei erstmals mit Skulptur. Die beiden Frauen-Hermen muss nach Klingers Entwürfen der Bildhauer Artur Volkmann in Marmor hauen. Der als bildhauernde Autodidakt auftretende Klinger traut sich die Arbeit im schwer beherrschbaren Material noch nicht zu.

Die Skulpturenauswahl der von Ursel Berger, Conny Dietrich und Ina Gayk konzipierten Berliner Ausstellung konzentriert sich auf die Jahre um 1900, als sich Max Klinger von den Experimenten mit verschiedentonigen Marmorsorten und mehrfarbig getönten Gipsen wieder löst und zu den Nichtfarben der klassischen Bildhauerei zurückkehrt. Nun erst feiern seine Frauen- und Männerakte den Menschen als „reine Form“ und perfektes Bild vom freien Spiel der Kräfte. Museumsdirektorin Ursel Berger resümiert: „Klinger hat als Bildhauer die nichts bedeutende Figur erfunden.“ Werktitel wie „Badende“ und „Drama“ sind eigentlich nur noch schmückendes, den Zeitgeschmack beruhigendes Beiwerk.

Auch die Porträtbüsten, die Klinger in jenen Jahren von Berühmtheiten wie Richard Strauss oder Friedrich Nietzsche modelliert, zielen aufs Allgemeingültige – und zugleich auf den Kern des Individuums. Cosima Wagner urteilte über Klingers Büste ihres Vaters Franz Liszt, es sei die hässlichste Darstellung, die sie kenne. Aber die bei weitem ähnlichste.

Georg-Kolbe-Museum, Sensburger Allee 25, bis 2. September; Dienstag bis Sonntag 10 bis 17 Uhr Katalog (Verlag E. A. Seemann) 24,90 €.

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