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Kultur: Nichts wie weg hier!

Frauensache: Christine Mielitz radikalisiert Wagners „Fliegenden Holländer“ in Wien

Sentas Tod bleibt ohne Verklärung. Ja, die Kapitänstochter gönnt sich nicht einmal die Seebestattung, der eine gewisse Romantik innewohnt. So leidenschaftlich empfindet das Mädchen den Zwang zur Selbstzerstörung, dass sie an der norwegischen Küste, wo die Segelschiffe ankern, überraschend einen Benzinkanister schwingt, um sich zu verbrennen. Senta, die Fanatikerin, sieht sich in den Freitod getrieben. Denn der Holländer, der bleiche Seefahrer, den sie in ihrer Ballade zu retten entschlossen war, ist ihr Traummann längst nicht mehr.

Gemeinsam hat er sich mit ihr in die Vision der Opferrolle begeben. Magisch ins Blutrote gleitendes Licht umhüllt das Paar, das nebeneinander zwei Monologe singt, die der Komponist Richard Wagner ein Duett nennt. Von der Ferne längst vergangener Zeiten und wunderbarem Träumen ist darin die Rede. Von einer Liebe, die aus Sehnsucht nach Erlösung und tiefen Mitleids Stimme enstanden ist.

In der Irrealität der Szene, so zeigt es Christine Mielitz in ihrer Inszenierung des „Fliegenden Holländers“ an der Wiener Staatsoper, nimmt Senta die Position eines erhabenen Schutzengels ein, der über dem verdammten Kapumsegler schwebt. Wird das reale Bühnenlicht wieder angeknipst, so erscheinen die Abhängigkeiten der Personen vertauscht: Der Fordernde, Zynische ist der Holländer, und die Treue, von der er singt, ist ein Befehl. Senta muss erfahren, dass ihr vermeintlicher Held sich hinreißen lässt, sie brutal im Genick zu packen. Der Abenteurer, der für seine Schuld gegen die Naturgewalten büßt, will Hilfe und Ruhe mit rücksichtslosem Eigensinn erzwingen. Sentas Nacken schmerzt, sie liebt ihren Vater, sie liebt ihren Verlobten, ihr Schwur gilt dem wüsten Seemann: Sie weiß einfach nicht mehr weiter. Nur noch weg sein!

In der Personenführung hat die Regisseurin diese Not der Senta, die aus einer halbwegs heilen Alltagswelt praktisch in die Verlorenheit kommandiert wird, subtil gezeichnet. Schon dem Vater Daland hätte auffallen müssen, dass sein Handel um die Tochter mit dem Fremden, der nichts als Schätze aufweist, ein Teufelspakt ist. Ihm brennt die Hand, Gewalt ist von Anfang an zu spüren.

Senta sucht Schutz bei ihrem Erik, weil die Zärtlichkeit der Verlobten noch nicht verloren ist. Selten hat man den Satz der jungen Frau so wahrhaftig gehört: „Ich bin ein Kind, und weiß nicht, was ich singe. . .“

So stirbt sie in den Flammen, nachdem sie ihre beiden Männer, denen sie sich ausgeliefert hat, den freundlichen Jäger und den ewige Vernichtung verlangenden Weltumsegler, zusammen und gleichzeitig umarmt hat. Diese Figurengruppe steht für die Ausweglosigkeit, in die das Mädchen gefallen ist. Schiffsspanten, ausgekernt, weder anheimelnd noch unheimlich, bestimmen das Bühnenbild von Stefan Mayer, in dem sich das trauliche und das verhexte Fahrzeug Bug gegen Bug begegnen. Im Hintergrund schwebt ein weiteres Segelschiff in der Nebelferne. Wer den Film „Master and Commander“ von Peter Weir gesehen hat, könnte von dessen Anblick über bewegtem Meer auf gefährliche Bedeutung schließen. Es bleibt aber eher ein Dekor christlicher Seefahrt.

Christine Mielitz ist die Darstellung der Mannschaften auf der Bühne wesentlich. Sie mischen sich miteinander, die Harmlosen in feuchtfröhlicher Feierstimmung und die Geknechteten, Entwürdigten, bis der umbarmherzige Gebieter des Geisterschiffs sein Machtwort spricht. Hier verrennt sich die Inszenierung. Denn eine entrechtete Menschenschar, die in gleichmachende Ölhäute gekleidet mit ihrem Aufmarsch die Bühnenmitte okkupiert, verliert jene gespenstische Wesensart, die das Märtyrerdrama, das sich auf den Weltmeeren ereignet, bestimmen soll. Die soziale Komponente, von Mielitz und ihrer Dramaturgin Eva Walch respektabel gedacht, teilt sich nicht überzeugend mit.

„Bin ein Kind, und weiß nicht, was ich singe“ – die Entdeckung des Abends, Debütantin an der Wiener Staatsoper, heißt Nina Stemme. Es ist, als ob die Schwedin mit einer Brillanz der Unschuld sänge, rein, klar, sicher in den Höhen, von eigener musikalischer Vorstellungskraft beseelt. Dazu lässt Mielitz sie ein Mädchen ganz im Sinn des Dichters Richard Wagner spielen: Nicht krankhaft, sondern „in ihrer anscheinenden Sentimentalität durchaus naiv“. Welche Wohltat ein leiser Ton sein kann, das wird mit Nina Stemmes erstem Pianissimo-Einsatz im zitierten Ton der Ballade eklatant. Denn der Dirigent Seiji Ozawa, der die Ouvertüre noch als ein beredtes Seestück ausmalt, gestattet dem Orchester der Wiener Staatsoper und den Sängern auf der Bühne volles Rohr.

John Dickie trägt das Lied des Steuermanns an sein Mädel daheim mit kräftiger Betonung der Fermaten im Heldenstil vor, als handele es sich um Siegfrieds Schmiedelieder. Franz Hawlata als Daland und Falk Struckmann als Holländer (dessen Dramatik imponiert, musikalisch aber nur Einzeltöne wuchtet und keine Linie mehr schafft) brüllen sich duettierend an. Hinzu kommt der Fehler der Regie, die beiden Sänger in großräumiger Entfernung aufzustellen, wo Intimität des Gesprächs angebracht wäre. Natürlich funktionieren in Wien die Highlights der Chöre, die Ernst Dunshirn einstudiert hat.

Nur Torsten Kerl als Erik nähert sich musikalisch-dynamisch der lyrischen Intensität Nina Stemmes an. Sie könnte für unsere Gegenwart Wagners „Weib der Zukunft“ sein. Das Wiener Stehparkett, dessen Gründe zu Lob und Tadel die Götter kennen – oder die Geier (manchmal auch die Vernunft) – jubelt in diesem Fall einhellig.

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