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Niederlande: "Kunst ist doch nur ein linkes Hobby"

Hollands neue Regierung organisiert kulturelle Einrichtungen zu Profitcentern um. Subventionen werden gekürzt, die Steuer auf Tickets erhöht.

Wenn vor Beginn einer Oper jemand auf die Bühne kommt, ist das immer ein schlechtes Zeichen. Denn dann wird meist ein kranker Sänger angekündigt. Als aber am 20. November vergangenen Jahres Truze Lodder in der Amsterdamer Oper das Mikro in die Hand nahm, lag noch mehr im Argen.

Seit 1987 arbeitet die geschäftsführende Direktorin am Haus, immer hat sie im Hintergrund gewirkt, nie stand sie auf der Bühne. Aber jetzt geht es nicht anders. „Wir brauchen breite gesellschaftliche Unterstützung“, sagt sie. „Kunst, nicht nur Oper, ist ohne öffentliche Gelder nicht zu haben.“ Dann ballt Dirigent Hartmut Haenchen die Faust, und der gesamte Saal stimmt ein in einen riesigen, minutenlangen Schrei, der direkt in die gewaltigen ersten Akkorde von Bernd Alois Zimmermanns Oper „Die Soldaten“ übergeht.

Nicht nur in Amsterdam, in 70 weiteren Städten und Dörfern im ganzen Land schreien an diesem Tag die Menschen ihren Ärger heraus, die Aktion heißt „Nederland schreeuwt om cultuur“ (Die Niederlande schreien für ihre Kultur), sie soll die Politiker in Den Haag aufrütteln.

Was ist passiert? Seit Oktober haben die Niederlande eine neue Minderheitsregierung, die erstmals seit Jahrzehnten von der wirtschaftsliberalen VVD (Volkspartij voor Vrijheid en Democratie) gestellt und von Geert Wilders und seiner rechtspopulistischen Partei PVV (Partij voor de Vrijheid) toleriert wird. Kulturstaatssekretär Halbe Zijlstra macht sich daran, auch die Künste wirtschaftsliberal umzugestalten.

Das heißt vor allem: Subventionskürzungen und eine Erhöhung der Mehrwertsteuer auf Eintrittskarten von sechs auf 19 Prozent. Das mit rund 500 Millionen Euro sowieso eher kleine staatliche Förderpaket soll bis 2014 auf 300 Millionen Euro schrumpfen. Damit wird bei der Kultur, verglichen mit anderen Ressorts, überproportional viel gekürzt. Treffen wird es vor allem die zahlreichen kleineren Theater- und Tanzensembles, Festivals und Galerien, die über das ganze Land verstreut sind.

Die neue Politik wirkt sich deshalb verheerend aus, weil die Rolle des Zentralstaats bei der Kulturförderung in den Niederlanden viel größer ist als in Deutschland, wo der Bund vergleichsweise wenige Einrichtungen direkt finanziert, wie die Berliner Festspiele oder das Bonner Haus der Geschichtet. Im föderalen Deutschland liegt diese Aufgabe vor allem bei den Ländern und Gemeinden. Die Berliner Philharmoniker zum Beispiel sind in einer Stiftung organisiert, die vom Land Berlin getragen wird.

In den Niederlanden sind die Provinzen politisch viel schwächer, das Rijk, wie der Bund hier genannt wird, entsprechend wichtiger. Über die sogenannte „Basisinfrastructuur“-Förderung sowie diverse Fonds wird eine kulturelle Grundversorgung garantiert. Alle vier Jahre gibt es eine neue Subventionsrunde, bei der sich jede Institution erneut bewerben muss. Das System soll garantieren, dass sich niemand auf dem Geld ausruht und es irgendwann für selbstverständlich hält. Die bedeutendsten Einrichtungen, die langfristig planen müssen, wie die Amsterdamer Oper, die zehn Orchester, die Rijksmuseen oder das Dans Theater in Den Haag, waren bisher von der Vier-Jahres-Regelung ausgenommen.

Das soll sich jetzt ändern. Zijlstra will die „Basisinfrastructuur“ nicht nur deutlich verkleinern, sondern auch strengere Auswahlkriterien anlegen. Wer noch teilhaben möchte, muss mindestens 17,5 Prozent seines Budgets selbst erwirtschaften. Das alte Ideal einer möglichst breiten kulturellen Versorgung in allen Provinzen soll abgeschafft werden zugunsten einer Konzentration in der „Randstad“, dem Ballungsraum, in dem die meisten Menschen leben.

Die Planungssicherheit der kulturellen Leuchttürme ist damit praktisch abgeschafft. Auch die Nederlandse Opera (DNO) in Amsterdam darf offiziell nicht mehr für die Zeit nach 2014 planen. Wer den Opernbetrieb kennt, weiß, wie lange die Vorläufe sind und wie katastrophal sich mangelnde Planungssicherheit auswirken kann. Als Kristallisationspunkt niederländischer Musikkultur und als einzige Oper des Landes mit festem Haus ist die DNO von enormer Bedeutung. Die besten niederländischen Orchester spielen hier abwechselnd, allen voran das Nederlands Philharmonisch Orkest. 2009 erhielt die DNO 25,7 Millionen Euro vom Staat (zum Vergleich: die Berliner Staatsoper bekam 41,6 Millionen). Jetzt soll die Förderung erstmals in der Geschichte zurückgefahren werden: 2012 um 2,2 Prozent, 2013 um 5 Prozent. „Eine deutliche Botschaft“, nennt das DNO-Sprecher Marc Chahin.

Eine Botschaft wofür? Für die Aufkündigung eines Grundkonsenses. Ziljstras Pläne haben bereits jetzt die Atmosphäre vergiftet. Denn hinter ihnen steht eine völlig neue Sicht auf die Künste, die sich am Profitdenken orientieren sollen. Der Künstler wird zum Unternehmer, der der Gesellschaft nützlich zu sein hat, der Besucher zum Endverbraucher, die Kunst zum Produkt, das sich nur noch wenige leisten können. „Für Geert Wilders ist Kunst nur ein ,linkes Hobby’, das niemand braucht“, sagt Koen Kleijn, Autor beim Wochenblatt „De Groene Amsterdammer“ und Dozent an der Design Academy Eindhoven. Eine antiintellektuelle, populistische Grundstimmung macht sich breit, was man auch an der Kürzung der Entwicklungshilfe sehen kann. Kleijn zitiert den VVD-Politiker Stef Blok, der schon vor Jahren gefragt hat: „Wozu brauchen wir noch Orchester, wenn doch schon alle Mozart-Einspielungen in den Regalen stehen?“ Blok ist heute Fraktionsvorsitzender seiner Partei im Haager Parlament.

Hilft da eine Aktion wie der Massenaufschrei vom vergangenen November? „Der war populär und schnell, aber wenig effektiv“, meint Koen Kleijn. Die Mehrwertsteuererhöhung wurde daraufhin nicht zurückgenommen, nur um ein halbes Jahr verschoben. „Der Kunstsektor hat noch keine wirklich überzeugende Antwort auf die Bedrohung gefunden. Nötig wäre eine deutliche Vision, warum wir Kultur brauchen.“

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