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Kultur: Nimm mich mit, Kapitän

KLEINKUNST

Direkt neben dem Bundeskanzleramt, der Kopfschmerzzentrale dieser verkaterten Republik, will das Jammertal mal vergessen sein. So gründlich, dass alle Verstrickungen mit der Realität unter Zuhilfenahme von Tanzmusik gelockert und zuletzt mit einem herrlichen Hieb Humor gekappt werden. Rausch, Sucht, Schlendrian – Ulrich Turkur und seine Rhythmus Boys verabreichen im Tipi -Zelt „Morphium, erste Dosis“ (noch bis 4.5., jeweils 20.30 Uhr), auf dass der Mensch sich gottgleich fühle. Und sei es nur für eine Nacht. Schließlich ist die Geschichte des Drogenmissbrauchs so alt wie die Menschheit: Adam und Eva standen halt auf Stechapfel, benahmen sich daneben und erhielten prompt Hausverbot. Wer könnte auf dem weiten Meer des blauen Dunsts, des weißen Schnees und der hochprozentigen Flüssigkeiten ein besserer Kapitän sein als Tukur?

Eine Spielernatur im engen Nadelstreifenzweireiher, ein brillant übers Ziel hinausschießender Conférencier, ein windiger Klavierspieler und leichtfertiger Sänger. Er setzt charmant aufs Risiko, und jener Engel, der schützend seine Hand über Kinder und Betrunkene hält, gewährt auch dem aufgekratzten Schauspieler seine Gunst. Zusammen mit seinen schmissig-skurrilen Rhythmus Boys erschnüffelt Tukur selbst zarte Spuren von Rauschmitteln in Foxtrott und Valse Boston, besonders aber in der späten Revuephase des Dritten Reichs.“ Fass das Glück, wo es dir blüht", wurde damals den Süchtigen empfohlen und noch zwischen den rauchenden Trümmern „Der weiße Traum“ halluziniert. Kunstvolle Tierstimmenimitationen, kulturell hochwertige Gitarrensoli und tanzethnologische Darbietungen katapultieren den Abend zielsicher in die betörenden Regionen des höheren Nonsense. Ein Rausch, aus dem man nur ungern, jedoch ohne jeden Kopfschmerz erwacht.

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