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Ich steh’ zu Musicals, ich tanze dazu. Nini Stadlmann, 37, kam in Wien zur Welt, lebt seit 1999 in Berlin und tritt in der Revue „Höchste Zeit“ auf.

© David Heerde

Nini Stadlmann spielt am Ku'dammtheater in "Höchste Zeit": Gute Gags und tolle Weiber

Musical muss doch irgendwie anders gehen: rotziger und relevanter. So hätte jedenfalls die Sängerin und Tänzerin Nini Stadlmann das gern. Jetzt ist sie im Theater am Kurfürstendamm in "Höchste Zeit" zu sehen.

Sitzprobe also. Das ist im Musiktheater ein wichtiger Tag. Der Tag, an dem der Musikchef ausnahmsweise die Regie übernimmt. Der Tag, an dem Sänger und Orchester sich erstmals begegnen, angestrengt in ihre Noten starren und hoffen, dass sich das Zusammenspiel wie von selber fügt. Der Tag, an dem eine schrille Dissonanz statt eines perlenden Keyboard-Intros erklingt. „Mist“, schimpft Bandleader Carsten Gerlitz, der die Songtexte und Arrangements geschrieben und jetzt den Missgriff getätigt hat. Nini Stadlmann und ihre drei Sangeskolleginnen lassen die Mikros sinken und prusten los. Alles auf Anfang.

Seit zehn Uhr morgens proben sie hier im Ballhaus Rixdorf, im lichten Dachstudio, vor Spiegelwänden und Bühnenbildteilen die Revue „Höchste Zeit“. Am Freitag ist Premiere im Theater am Kurfürstendamm. Inzwischen ist es Abend geworden, und Angelika Mann, früher mal Ostrock-Röhre, bestellt den Gatten telefonisch zum Abholdienst ein. Sie war als Einzige der Sängerinnen schon bei der 2010 in Essen uraufgeführten und vor zwei Jahren wochenlang in Berlin gelaufenen Vorläuferproduktion „Heiße Zeiten“ dabei. Auf die Feelgood-Revue zum Trendthema „Wechseljahre“ folgt jetzt eine Fortsetzung zum Trendthema „Heiraten“, wieder unter der Regie von Katja Wolff.

Der Sound stimme noch nicht, kommentiert Nini Stadlmann die Probe und winkt dem sich nach und nach in den Feierabend verabschiedenen Ensemble nach. Sie spielt die Jüngste, aber als Klischeefigur „Helikopter-Mutter“ Konservativste im Frauenquartett, das sich in „Heiße Zeiten“ zufällig auf einem Flughafen kennenlernt und anlässlich einer Hochzeit wiedertrifft. Lieb und sauber solle der Sound gar nicht werden, sondern durchaus rumpelig und rotzig bleiben, sagt Stadlmann, die im wahren Künstlerleben auch gestresste Mutter ist. „Bloß nicht zu glatt gebügelt, bloß nicht zu spießig!“ Das sind Stoßseufzer, wie man sie aus dem Mund einer latent unter Seichtheitsverdacht stehenden Musicaldarstellerin gerne hört.

Musicaldarstellerin - das klingt nach alles ein bisschen und nichts richtig können

Apropos Musicaldarstellerin. Auch so ein Ausdruck, der ein bisschen singen, tanzen, schauspielern, aber nichts so richtig können suggeriert. Nini Stadlmann, 37, gebürtige Wienerin und seit 15 Jahren als Sängerin und Choreografin in der Musiktheaterbranche tätig, kennt das terminologische Dilemma. Oft hat sie es mit ebenfalls nach guten Stoffen lechzenden Kollegen diskutiert. Es sei halt so, dass die in Deutschland durch die Nazis zerstörte Operetten- und Revuetradition dazu geführt habe, dass Musical als amerikanischer Re-Import im Gegensatz zu Oper und Theater nicht als gleichwertige Kunstform angesehen werde. Trotzdem: „Ich mache Musical, ich stehe dazu, ich tanze dazu.“

In Österreich, in der Schweiz, in Mannheim, Gelsenkirchen oder Osnabrück, aber vor allem in Berlin. 1999 hat es sie hierherverschlagen. Als Ensemblemitglied von „Chicago“, das unter der Intendanz von Elmar Ottenthal am Theater des Westens lief. Sie wollte nie mehr weg. Den Tanzstil der von Bob Fosse choreografierten Broadway-Produktion liebt sie bis heute, springt auf und führt in Jeans und Chucks gleich mal ein paar geschmeidige Posen vor. „Die isolierten Bewegungen, etwa nur einen Finger synchron zu bewegen. Oder als Ensemble wie ein einziger Körper zu atmen, das wird stundenlang vor der Spiegelwand geübt.“ Sie selbst hat die Technik in Florida perfektioniert, wo die einstige Fosse-Partnerin Ann Reinking Choreografie- und Tanzworkshops gibt.

Wirklich aufregend an Nini Stadlmann ist nicht einmal, dass sie singen und tanzen kann und dass sie in Berlin im Theater am Potsdamer Platz wie in der Scheinbar, in der Komischen Oper wie in der Neuköllner Oper spielt. Sondern dass sie an ein Musiktheater jenseits von verstaubten oder stereotypen Singspielen glaubt. Am Anfang der Karriere achtmal die Woche „Cats“ zu spielen, sei völlig in Ordnung, sagt sie, aber irgendwann frage man sich doch: „Was macht mich aus? Muss man heute noch so was Proamerikanisches wie ,On The Town‘ bringen? Will ich selber wirklich auch noch eine Sally Bowles in ,Cabaret‘ spielen?“

Mit der "Stammzellformation" macht sie böse, kabarettistische Produktionen

Und weil sie keine Frau ist, die es beim händeringenden Warten auf zeitgemäße Stoffe belässt, hat sie 2009 zusammen mit Tom van Hasselt und Franz Frickel unter dem Motto „Musical muss neu geschrieben werden“ ein Kreativteam namens „Stammzellformation“ gegründet. Der programmatische Untertitel „Böses Musical“ verrät, wo die Reise thematisch hingeht: Richtung Kabarett. Sechs Stücke haben die drei seither mit einfachen Produktionsmitteln realisiert und im Maschinenhaus der Kulturbrauerei oder dem BKA-Theater aufgeführt. Die Hoffnung, die im Theaterverlag Felix Bloch erschienenen Stücke dann auch weiterzuvermarkten, hat sich allerdings noch nicht erfüllt. „Sie sind zu sehr Musical für Kleinkunsthäuser und zu sehr Kabarett für Musicalbühnen“, vermutet Nini Stadlmann. Eines davon – die Prenzlauer-Berg-Satire „Mamma Macchiato“ – nimmt in der Rückschau schon ihre jetzige Mackenmuttirolle in „Höchste Zeit“ vorweg.

Dass das musikalische Rezept, Hits von Baccara bis Stevie Wonder mit deutschen „Wir sind Frauen, wir sind stark“-Texten zu covern, nicht eben der Gipfel subversiver Originalität ist, weiß sie selbst. „Klar ist das Mainstream und keine hohe Kunst. Aber mit frecher Attitüde, guten Gags, tollen Weibern und Liedern, die ganz bewusst mit ihrem Wiedererkennungswert spielen.“ Sie hofft, dass die Komödie nach dem Berliner Auftakt auch als Tourneeproduktion so erfolgreich wird wie der Vorgänger. Denn ein mehrmonatiges Engagement ist eine prima Basis für eine Künstlerin, die nebenbei ein Kind aufzieht und eigene Ambitionen verwirklichen will. Als da wären? Im Oktober erst mal ein Alma Mahler-Werfel gewidmeter Wort- und Musikabend, an dem sie gerade arbeitet. Und dann gibt es noch den großen Traum einer eigenen Spielstätte. „Eine richtige Off-Musicalbühne, das wär’s“, ruft Nini Stadlmann. Wie wäre es denn mit der leer stehenden Charlottenburger Tribüne? Sie nickt. Ja, darüber hat sie sie schon nachgedacht, die Idee aber verworfen: „Falscher Standort“.

Klein dagegen darf es schon sein. Brettlbühnen fürchtet sie nicht, wenn nur die Magie stimmt. „Die tollste Vorstellung hat die Stammzellformation im Maschinenhaus vor nur zehn Leuten gespielt, sie waren zu Tränen gerührt.“ Ein paar Zuschauer mehr werden es eines Tages in Nini Stadlmanns Indie-Musiktheater hoffentlich sein.

„Höchste Zeit“ bis 31.10. im Theater am Kurfürstendamm, Voraufführungen: 2.–4. September, 20 Uhr, Premiere: 5. 9., 20 Uhr

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