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Kultur: No Woman no Cry

Reggae bei der Regierungsbildung: Was bringt uns Jamaika?

Wenn ein Song zur Hymne wird. Sie brannte sich mit einem feuchtheißen Orgelton in die Seele ein – und einem grandiosen Missverständnis. No Woman no Cry. Mit oder ohne Komma? Ein Freund aus dem Fränkischen übersetzte Bob Marley damals so: „Ka Frau, ka Gschrei“. Ein anderer meinte, es verhalte sich sehr viel komplizierter, wegen der pidgin-englischen doppelten Verneinung: ohne Frau sei das Leben zum Heulen, sinngemäß. Damals, als Willy Brandt Kanzler war in einer sozialliberalen Koalition, und die Grünen waren noch nicht erfunden.

Am Wahlabend brach es plötzlich aus, das Löwenwort, es ging wie ein unsichtbarer Joint von Mund zu Mund, der Zauberspruch, mit dem das Patt gewendet werden könnte. Jamaika-Koalition. Die alten so genannten Volksparteien schwächeln, es verschieben sich die noch aus der Adenauerzeit tradierten Kräfteverhältnisse stärker, als die Demoskopen vorherzusagen wagten, und Deutschland befindet sich auf dem Weg zur Bananenrepublik, mit Rasta-Locken im Kanzlerinnenamt. Nun endlich scheint die Globalisierung in Berlin angekommen zu sein. Jamaika klingt auch viel poetischer als die blümerante Schwampel, die dasselbe meint: eine bis vor kurzem undenkbare Kohabitation von Schwarz-Gelb-Grün. Lieber Jamaika, denken viele, als italienische Verhältnisse.

Joschka Fischer und andere Spitzen-Grüne sagen mit einem Verliererlächeln, aus dem noch nicht jegliche Hoffnung gewichen ist, dass sie auf Reggae stehen. Das macht Verhandlungen nicht einfacher. Wie sollen Marley und Merkel zusammengehen? Dem Rasta-Mann ist der Machismo nicht fremd. „No Woman no Cry“. Er tröstet sie, mit seinem starken Arm und seiner zartfühlenden Gitarre: „Oh little darling, don’t shed no tears.“ Hör auf zu weinen! „Angie, don’t you weep“, heißt es ja auch in jenem Song der Rolling Stones, den die CDU im Wahlkampf spielte, wenn die Kanzlerkandidatin aufs Podium ging. Eine tieftraurige Ballade von vergangener Liebe. „Time is on my Side“ wäre überzeugender gewesen.

Aber nun haben wir die Karibik. Strände, Palmen, Dope. Falls es drogentechnisch Probleme geben könnte bei der Union, könnte der Hinweis auf Bill Clinton hilfreich sein. Der hatte im Wahlkampf gegen Bush senior zugegeben, dass er zwar gekifft, aber nicht inhaliert hat. Damit wären wir bei den Programmen der Jamaika-Parteien und ihrer Kompatibilität. Noch zählen die Grünen zum linken Lager, aber das kann sich ändern. Die Grünen haben auch zutiefst bürgerliche Wurzeln. In allen Farbspielen steckt das Drama das Führungspersonals. Es müsste ausgewechselt werden, wenn die neue Droge wirken soll, wenn nicht nur gepafft, sondern zügig inhaliert wird.

Westerwelle stünde einer traditionellen Ampel im Weg, Schröder will die große Koalition, aber ohne Merkel, und Fischer kann sich selbst als Außenminister einer jamaikanischen Regierung im Berliner Exil nicht vorstellen. „Dreadlock Holiday“, der weiße Reggae-Hit von 10cc, warnt vor bösen schwarzen Männern, die Touristen ausrauben: „Don’t like Jamaica“ geht der Refrain. Und dann doch: „I love her“.

Jamaika: eine parlamentarische Monarchie im Commonwealth. Staatsoberhaupt ist Queen Elizabeth II., vertreten durch einen Generalgouverneur. In der UN-Statistik zur Lebensqualität liegt Jamaika von 177 Staaten auf Platz 98. Deutschland liegt auf Platz 20. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, die Machtverhältnisse sind beneidenswert stabil. Seit 1992 regiert Premierminister Patterson. Jamaika hat Fantasie. Es schickt Bob-Fahrer zu Olympischen Winterspielen, unter jamaikanischer Flagge dampfen etliche Tanker und Frachtschiffe über die Weltmeere, etliche davon allerdings schrottig. Wollen wir einen solchen Staat?

Was bringt Jamaika wirklich? Nur noch größere Verwirrung, man muss es leider sagen. Richtig: Die Nationalfarben der Karibikinsel sind Schwarz, Grün und Gelb. Zwei schwarze, zwei grüne Keile, von einem gelben Kreuz geteilt. Keine Ampel, mehr ein puzzeliges Geduldspiel. Die Rastafari aber, und hier kann sich die ganze Geschichte noch einmal für Schröder drehen, tragen Grün, Gelb und Rot. Die Farben Äthiopiens. Bob Marley verehrte den legendären äthiopischen Herrscher Haile Selassie wie einen Gott. Nach seinem Tod stieg Bob Marley selbst in den Rasta-Himmel auf.

Everything’s gonna be alright.

Marley singt sich dabei so in Trance, dass man es am Ende fast selber glaubt.

Everything’s gonna be alright.

Everything’s gonna be alright.

Bloß für wen?

Rüdiger Schaper

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