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Kultur: Nonsens auf dem Silbertablett

Große Schauspieler, kleine Dramen: Andrea Breth zeigt ihre Wiener „Zwischenfälle“ bei der Spielzeit Europa in Berlin.

Am selben Ort, nämlich im Haus der Berliner Festspiele, hatte dieser Theaterabend im letzten Jahr fast zu einem Eklat geführt, und zwar durch seine Abwesenheit während des Theatertreffens, durch den Umstand, dass „die Zwischenfälle“ von Andrea Breth mit einer Schauspielerstarbesetzung vom Wiener Burgtheater nicht eingeladen worden waren. Jurymitglied Andres Müry hätte, wie er bei einer Diskussion sagte, für diesen Abend gern mehrere eingeladene Inszenierungen gegeben und löste mit der Öffentlichmachung seines Unmuts heftige Reaktion bei seinen Jurykollegen aus. „Schwer erträgliche gestrige Veranstaltung“, befand Wolfgang Höbel, „eine virtuose, aber kernlose Selbstbespiegelung“, urteilte Franz Wille.

Ach. Pflanzt sich das Wissen um diese Auseinandersetzung nun wie eine Spielverderberbrille vor die Augen oder liegt es gar an der vergangenen Zeit – die Premiere im Akademietheater war Anfang 2011 –, dass die hemmungslose Begeisterung, die seinerzeit durch die Blätter rauschte, sich beim Gastspielauftritt im Rahmen der Spielzeit Europa nicht einstellen will? Vielleicht liegt es aber auch daran, dass dieser Abend es so hemmungslos auf die Begeisterung des Publikums abgesehen hat.

Andrea Breth inszeniert eine komödiantische Collage, von ihr und dem Dramaturgen Wolfgang Wiens aus Miniaturen des russischen Dada-Freundes Daniil Charms (1905-1942) und den beiden französischen Komödianten und Farcenautoren Georges Courteline (1858-1929) und Pierre Henri Cami (1884-1958) zusammengestellt. Fünfzig Kürzestdramen über die Absurdität des Alltags, ein amüsantes Panorama über die Vergeblichkeit, dem Leben so etwas wie Sinn abzugewinnen.

Zehn tolle Schauspieler übernehmen neunzig Rollen in Szenen, die alle hinter einem durchsichtigen Gazevorhang stattfinden, wo der Bühnenbildner Martin Zehetgruber eine wandelbare, nüchterne Arbeits- oder unpersönliche Hotelwelt im bräunlichen Ton der fünfziger Jahre eingerichtet hat, mit genügend großen Einschusslöchern und klaffenden Kratern in den Wänden, durch die jederzeit das Unerhörte oder Surreale hereinschneien kann (in Form von vorbeigleitenden venezianischen Gondeln, fliegenden Betten oder sausenden Golfbällen zum Beispiel). Zwischen den Spots wird es dunkel, damit ein wuseliges Heer von Bühnenarbeitern in Windeseile die neuen Szenen einrichten kann, in denen die Schauspieler bei angehendem Licht dann einen Moment eingefroren wie Schaufensterpuppen stehen – bevor der nächste Spaß beginnt.

Und das ist es: ein einziger, großer, lakonisch vorgeführter und manchmal auch getanzter Spaß (großartig: Markus Meyers Balletteinlage zum Strausswalzer), eine Aneinanderreihung von Sketchen, Slapstickpirouetten und klamaukigen Parodien (von Pina Bausch bis Christoph Marthaler), bei denen man eigentlich niemanden hervorheben möchte, weil jeder toll ist und seine bejubelten Star-Auftritte hat: Johanna Wokalek, die bald als schwäbelnde Putzfrau nackt, also mit Gummibauch und Brüsten, auf einem Tisch stehend über den Verbleib der Butter schwadroniert, während zwei Männer zu ihren Füßen loriothaft vor sich hin essen, bald als beschränkte Gattin mit Udo Samel in einem gekippten Raum im Ehebett liegt (also eigentlich hängt) und sich wundert, dass sich England als Insel bei Wind nicht „davonmacht“.

Udo Samel wiederum, der als knuffelig bäriges Kleinkind sosehr in den Ehekrieg seiner Eltern gerät, dass er ein bisschen eingreift und den toten Vater („Papi ist verkohlt!“) stolz der Mami präsentiert. Oder Roland Koch, der sich auf Schweizerdeutsch bei seinem Chef lautstark darüber empört, warum er nicht zur Arbeit kommt (Panik vor dem Büro) und genau deshalb (wegen dem Stress) mehr Gehalt fordert. Und, und, und. Toll und virtuos – aber eben nicht wunderbar oder wundersam abgründig oder gar böse. Dafür eilen die Szenen zu schnell auf die Pointen zu, stoßen sie zu selten ins zauberhaft Unheimliche vor, dreht sich die Handlung kaum ins Unerwartete. Die Erlesenheit der Präsentation, das exquisit Großkunsthafte und das stilisiert Getragene suggerieren freilich ein bisschen mehr als Nonsens auf dem Silbertablett.

Noch einmal heute, 11. Januar, um 20 Uhr im Haus der Berliner Festspiele.

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