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Kultur: Nonstop Konsens!

In Berlin tagt das „Bündnis für Theater“ – und alle wollen Reformen. Nur die Gewerkschaft Verdi spielt nicht mit

Das Wort der Stunde kam, wen wundert’s, nicht von der versammelten politischen Prominenz, nicht von Verbandsfunktionären, Personalratsvorsitzenden und Oberbürgermeistern, sondern von einer Künstlerin. Es war die Regisseurin Amélie Niermeyer, Intendantin des Freiburger Theaters, die den erlösenden Satz sprach: „Ich kann das Wort Krise nicht mehr hören.“

Damit setzte sie auf dem hochkarätig besetzten Berliner Kongress zur Zukunft der deutschen Bühnen – mit Antje Vollmer, Michael Vesper, Klaus Zehelein und Dutzenden weiterer Intendanten – einen erfrischenden Kontrapunkt. Was ihr um so glaubwürdiger gelingen konnte, als sie an ihrem Freiburger Theater vorführt, wie offensives Marketing, ein frischer Spielplan und die Kommunikation mit der Stadt eine Bühne ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit rücken können. Ein kämpferischer Optimismus, der auf’s Schönste aus dem Rahmen fällt. Denn nichts anderes als ein sehr waches Bewusstsein der Gefährdungen, denen sich die deutsche Theaterlandschaft ausgesetzt sieht, artikulierte der am Freitag von der Kulturstiftung der Länder veranstaltete Kongress im Kronprinzenpalais Unter den Linden. Mit dem Motto der Tagung, „Bündnis für Theater“, griffen die Veranstalter eine Anregung des Bundespräsidenten auf, der 2002 solch ein Bündnis prominenter Theatermacher, Kulturpolitiker und Interessensvertreter der Bühnenbeschäftigten initiiert hat.

Bundespräsident Rau war es auch, der die Berliner Tagung eröffnete. In seiner Rede ließ er keine Zweifel daran, dass er die Lage der deutschen Sprech- und Musiktheater für bedrohlich hält: „Die um sich greifende Verwertermentalität trocknet eine Gesellschaft geistig aus. Ich setze dem den Eigenwert der Kultur entgegen.“ Allein schon die Tatsache, dass das Staatsoberhaupt die Verteidigung öffentlich subventionierter Bühnen für notwendig hält, zeigt etwas von deren Gefährdung. Wäre die angemessene Finanzierung der Kultur eine Selbstverständlichkeit, könnte man ja über Kunst diskutieren statt über kunstfeindliche „Verwertermentalität“. Gleichzeitig mahnt Rau, in gut sozialdemokratischer Tradition, Veränderungen bei den Theatern an, die alle Bevölkerungsgruppen ansprechen müssten, auch solche, die „sich Theater nicht leisten können“ oder denen „wegen ihrer kulturellen Herkunft unser klassisches Repertoire fremd ist“. Die entscheidende politische Aussage, die den gesamten Kongress dominierte, versteckte Rau elegant in einem beiläufigen Konjunktiv: „Wenn ich mir etwas wünschen könnte, wäre es die Verankerung von Kultur als Pflichtaufgabe auf allen staatlichen Ebenen.“

Im Bundesland Sachsen – und bisher nur dort – ist dieser schöne Wunsch schon Realität. Hans-Joachim Meyer, der frühere sächsische Kulturminister, hat dort durchgesetzt, dass Kultur zu den kommunalen Pflichtaufgaben zählt und nicht, wie fatalerweise in Berlin, zu den freiwilligen Leistungen. In einer so sachlichen wie eloquenten Rede verteidigte Meyer sein Modell. Auch wenn durch diese Rechtskonstruktion kein Euro mehr für die Kultur zur Verfügung stehe, seien die Theater in Sachsen „so ehrenwerten Einrichtungen wie der Müllabfuhr“ rechtlich gleichgestellt – ein hilfreicher Schutz bei den Spardebatten.

In einer Arbeitsgruppe, die diese „Pflichtaufgabe Kultur“ debattierte, herrschte Konsens darüber, dass das sächsische Modell Vorbildcharakter habe. Das ist politisch bemerkenswert, weil die Vertreter des Deutschen Städtetages frühere Bedenken gegen diese Konstruktion nun merklich abschwächen.

Das zweite entscheidende Thema führte die Kulturstaatsministerin in die Reformdebatte ein. Christina Weiss diagnostizierte in ihrer programmatischen Rede „panische Angst vor Reformen“. Neben kulturpessimistischen Allgemeinplätzen („Wird das reiche Land innen hohl?“), die bei solchen Anlässen wohl unvermeidbar sind, skizzierte die Politikerin konkrete Reformvorschläge – vor allem den, Bühnen eine größere wirtschaftliche Verantwortung einzuräumen. Auch dieses Stichwort wurde bei den Diskussionen immer wieder aufgegriffen, wobei man sich weitgehend darüber einig war, dass die ungünstigste Rechtsform für ein Theater die einer kommunalen Behörde ist. Die noch immer an vielen Stadttheatern herrschende Kameralistik dürfte im anstehenden Reformprozess zur Disposition stehen.

Wie sich Wirklichkeitsverlust und robuste Besitzstandswahrung ergänzen, führten in bemerkenswerter Deutlichkeit Vertreter der Gewerkschaft Verdi vor. Während reformorientierte Intendanten und Kulturpolitiker über eine Flexibilisierung der Abläufe nachdenken, scheint Verdi in einer weiteren Bürokratisierung der Theaterarbeit ein glücksverheißendes Ziel zu sehen. Ein einheitlicher Bühnentarifvertrag, den sich viele Intendanten wünschen, sei schon möglich, gaben Verdi-Vertreter bei der Diskussion über einen neuen tarifrechtlichen Rahmen zum Besten. Aber nur, wenn sich die Künstler-Verträge in die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes integrieren ließen. Absurd: Diese Tarifverträge sind weit unbeweglicher und für die Produktion von Theaterstücken weit ungünstiger als die bisherigen Regelungen. Die Theater würden teurer – und weitere Schließungen wahrscheinlicher.

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