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Nora Abdel-Maksoud, Jahrgang 1983, zeigt ihre zweite Regiearbeit am Ballhaus Naunynstraße.

© Doris Spiekermann-Klaas

Nora Abdel-Maksoud im Porträt: Feuer in den Köpfen

Die Berliner Regisseurin, Autorin und Schauspielerin Nora Abdel-Maksoud nimmt mit ihrer Satire „Kings“ den Kunstbetrieb hoch. Ein Treffen.

Die Rebellion ist ein Verkaufsschlager. Dagegen kommt die Kunst schwer an. Nora Abdel-Maksoud und ein paar andere aufstrebende Kreative, mit denen sie während ihres Schauspielstudiums zusammenwohnte, haben diese Erkenntnis auf die harte Tour gewonnen. Ist schon ein paar Jahre her, ein bekannter Turnschuhhersteller hatte die Stadt mit gigantischen Werbeplakaten gepflastert, auf denen allerlei Rock- und Filmstars abgebildet waren, darunter fotomontiert auch Tote in Turnschuhen. Wahre Helden wie James Dean, Ian Curtis oder Sid Vicious posierten für die Marke neben Nena.

„Was für eine pietätlose Unverschämtheit“, dachte sich Abdel-Maksoud, „und wie wird meine Idolgläubigkeit so völlig ad absurdum geführt.“ Der gemeinsam mit den Gesinnungsgenossen gefasste Plan war, diesen Ausverkauf des gegenkulturellen Geistes mit allem zu schänden, was die Körperöffnungen hergeben. Maskiert als Iggy Pop oder David Bowie. Die Kunst-Aktion wollten sie filmen und auf Youtube stellen. In der Erwartung, dass daraufhin „etwas Ähnliches losbricht wie der Arabische Frühling“. Sie lächelt. Ist schiefgegangen. Schon weil das Banner am Rosa-Luxemburg-Platz rund um die Uhr bewacht wurde.

In Abdel-Maksouds Stück „Kings“ müsste diese Szene ein bisschen anders laufen. Der Clip würde gedreht. Und dann von einer trendigen Galerie teuer an irgendeinen Hipster-Sammler verkauft werden. Die gnadenlosen Vereinnahmungskräfte des Marktes sind eines der Themen dieser bitterkomischen Satire, die Abdel-Maksoud geschrieben hat und momentan am Ballhaus Naunynstraße auch selbst inszeniert. „Kings“ ist in einer surreal aufgepumpten Kunstbetriebsblase angesiedelt und mit einer Handvoll schräger Figuren bevölkert, die auf je eigene Art mit den Zwängen des Systems zu kämpfen haben. Die Möchtegern-Künstlerin Pino versucht zum Beispiel erbittert, mit den Traumata eines Akademikerkindes aus dem süddeutschen Sulzbach an der Hecke karrieremäßig zu reüssieren. Die schwer angesagte Grete („Größte Sensation seit Beuys!“) bemüht sich umgekehrt, die Verwertungsmechanismen des hypeseligen Betriebs mit möglichst radikalen Aktionen zu torpedieren. Und landet unfreiwillig einen Hit nach dem anderen.

„Kings“ handelt aber nicht einfach von einer überspannten Kultur-Poser-Szene und ihren kapitalistischen Auswüchsen. „Es geht um die großen Fragen der Menschheit, heruntergebrochen auf den Kunstbetrieb“, stellt die Autorin und Regisseurin klar. Was keineswegs zu hoch gegriffen wäre.

Nora Abdel-Maksoud, Jahrgang 1983 und an der HFF Potsdam ausgebildet, ist am Ballhaus Naunynstraße als Schauspielerin in Produktionen wie der Orhan-Pamuk-Adaption „Schnee“ oder dem Dauerbrenner „Verrücktes Blut“ durch sehr uneitle Präsenz aufgefallen. Mittlerweile spielt sie auch am Gorki Theater, zuletzt in dem schönen Sibylle-Berg-Abend „Es sagt mir nichts, das sogenannte Draußen“. Als Gast, nicht als festes Ensemblemitglied. Sich dauerhaft in die Strukturen eines Stadttheater-Apparats zu fügen, ist eben nicht für jeden erstrebenswert. Oder wie Abdel-Maksoud es formuliert: „Urlaubsscheine entsprechen mir nicht.“

Nora Abdel-Maksoud schreibt ironiebegabt und scharfsichtig

Vor allem aber hat die Frau mehr zu sagen als fremden Text. Was sie am Ballhaus Naunynstraße schon als Beteiligte am neofeministischen Gemeinschaftsprojekt „Dröhnende Antworten auf scheppernde Fragen“ bewiesen hat. Als ironiebegabte und scharfsichtig schreibende Regisseurin steuerte sie die Farce „Hunting von Trier“ bei, die von zwei Schauspielerinnen handelt, die keine Lust mehr verspüren, sich bei gefeierten Arschloch-Regisseuren zu prostituieren und entsprechend auf das Brigitte-Bardot-Bonmot pfeifen: „Alle Großen ’aben ’uren gespielt.“

„Kings“ geht noch einen Schritt weiter. Die Künstlerin stellt damit sich selbst und unserer seltsam müden Zeit die Sinnfrage. Ganz zentral und bewusst naiv: Wo ist die Utopie? Was schon die ersten Probleme aufwirft, weil der Begriff heute vor allem negativ besetzt ist. Sie habe sich, erzählt Abdel-Maksoud, unlängst mit zwei Freundinnen über den Mindestlohn unterhalten und erwähnt, „Die Linke“ fordere ja zehn Euro pro Stunde. Die reflexhafte Replik: „Ist doch utopisch!“ Verwunderlich, findet sie. Vor allem, „dass die den mittelmäßigen Rührbrei, den sie zu hören bekommen, so unreflektiert adaptieren“.

Zusammen mit Dramaturgin Nora Haakh hat sich Abdel-Maksoud zwecks Stückentwicklung auf eine ausführliche Recherchereise nach dem revolutionären Geist begeben. Die begann am Luganer See, wo vormals eine Utopisten-Kommune angesiedelt war, deren hippiesker Hort sich allerdings binnen zehn Jahren in ein hochpreisiges Wellnesshotel verwandelt hatte. Und führte weiter zu Albert Camus, der Spektakeltheorie eines Guy Debord, der Situationistischen Internationale, den Dadaisten ... Haupterkenntnis: Es sind schon andere vor ihnen mit ihrem Weltveränderungswillen gescheitert. Entscheidend aber: Bei Abdel-Maksoud resultiert daraus weder die Apathie des Bringt-ja-eh-alles-Nichts noch der handelsübliche Zynismus, der Engagement als Gutmenschen- und Wutbürgertum verspottet. „Ich glaube, dass viele Leute trotz materieller Sicherheit und dem neuen iPhone eine Leere verspüren“, sagt sie. „Könnte einen Zusammenhang geben.“

Die Preisfrage aber bleibt: Wogegen kämpfen? „Sind wir gegen den NSU-Skandal? Gegen die größte Datenabhöraktion aller Zeiten? Gegen die deutsche Flüchtlingspolitik? Die Liste ist endlos“, sagt Abdel-Maksoud. Was natürlich Teil des Problems sei. Ihr Stück empfiehlt aber eine Strategie dagegen: „Chose your fight.“ Such dir was aus. Doch mal im Ernst, ist das Theater der Ort, der die Menschen bewegen kann, raus aus der selbst verschuldeten Untätigkeit? Gewöhnlich antworten Künstler auf solche Fragen allenfalls mit „Ja, aber“. Nicht Nora Abdel-Maksoud. Sie sagt Ja. Entschieden ohne Hintertür. „Wenn ich nicht mehr daran glauben würde, dass es gelingen kann, Feuer in den Köpfen zu legen, müsste ich aufhören“.

Ballhaus Naunynstraße, 7.–12.5., 20 Uhr

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