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Kultur: Nordisch streng

Musikfest Berlin: Zwei Konzerte für György Kurtág

Manche Konzerte sind wie Geschenke – für die Hörer und auch für den Komponisten. György Kurtág hat sich beim Musikfest Berlin allerdings gleich selbst ein prächtiges Gebinde überreicht, denn der 80-Jährige hat die zwei Programme gemeinsam mit der Ungarischen Nationalphilharmonie entworfen. Vorbilder, prägende Einflüsse wollte er neben eigene Werke stellen und diese so dem Hörer in erhellendem Zusammenhang präsentieren. Nun sehen sich Komponisten ja gerne in einer Reihe mit großen Namen der Vergangenheit. Kurtág dagegen zeigt sich bescheidener, zugleich authentischer. Die frühbarocken Psalmen Davids von Heinrich Schütz hat er ausgesucht, und man versteht auf Anhieb, was er meint: Es ist diese Beredsamkeit, die lebendige Geste trotz aller Strenge, die Kurtág mit Schütz teilt.

Schütz hat das ja von Monteverdi, aber dem Italiener fehlt eben die Strenge, die die norddeutsche Schule eines Schütz wiederum für Kurtág in die Nähe der zeitgenössischen Musik rückt. Das neben der Ungarischen Nationalphilharmonie engagierte SWR Vocalensemble Stuttgart intoniert die Psalmen im Kammersaal der Philharmonie genauso traumwandlerisch, wie die insgesamt 14 sehr knapp gehaltenen Chorsätze Kurtágs. Überhaupt: Die Miniatur, die so typisch ist für Kurtág – man könnte ihm vorhalten, dass er es sich damit auch leicht macht. Denn nirgends ist die Neue Musik schon seit Berg und Webern so bei sich selbst, wie in der kurzen, hoch verdichteten Form, während doch alle Versuche, die Musiksprache der Moderne in die große Form zu führen, zumindest problematisch bleiben.

So ehrt Kurtág naheliegender Weise neben Bartók auch Anton Webern, und zwar mit seinen fünf kurzen Sätzen op. 5 in der Fassung für Streichorchester. Es ist hier die schwer fassbare Differenz aus ängstlicher Behutsamkeit bei der Setzung jedes einzelnen Tons und andererseits dem radikalen Willen zur Expressivität, die dieser Musik Atem einhaucht – man müsste dafür einen neuen Begriff finden. Der zweite Abend zeigt indes einen etwas anderen Kurtág. Ende der Achtziger hat der Ungar sich Werken mit größeren, im Raum verteilten Ensembles zugewandt, zum Beispiel im Doppelkonzert für Klavier, Cello und zwei Ensembles.

Nun werden die Stücke auch länger, die Raumdimension lässt die Klänge verweilen. Sie huschen nicht nur vorbei, sondern nehmen schon mal Platz. Hört man, wie scheinbar leichtfüßig Kurtág die Musik sprechend und klangsensibel hält, fragt man sich unwillkürlich, warum andere Komponisten sich immer wieder so tief in die unglücklichen Klischees der Neuen Musik verstricken. Man spürt hier nichts von unmotivierter Überkomplexität, Instrumentalistenquälerei, zwanghafter Dissonanzenhäufung und hochtrabendem, die Musik erdrückendem philosophischen Überbau – jenen auf Festivals mit Neuer Musik meist reichlich beigemischten Ingredienzen.

Langer, herzlicher Beifall vom erfreulich zahlreichen Publikum für den bedeutendsten lebenden ungarischen Komponisten. Und auch für die famose Ungarische Nationalphilharmonie unter Zoltán Kocsis.

Ulrich Pollmann

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