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Frei zugänglich. Bevor er auf die Insel Utoya kam, war der Mörder in fremde Gedankenwelten eingedrungen.

© dpa

Norwegen-Attentat: Geistige Brandstiftung: Wort und Mord

Nach dem Attentat von Norwegen ist die Diskussion um die ideologische Aufladung des Täters Breivik voll entbrannt. Peter von Becker beschreibt, wie nun auch Thilo Sarrazin oder Henryk M. Broder in dessen Nähe geraten.

Der norwegische Massenmörder Anders Behring Breivik hat mit seinem 1500-seitigen, im Internet veröffentlichten Manifest offenbar auch eine riesige Falle gestellt. Und alle, die nun in Breiviks Konvolut aus Ressentiments, Hass, fehlgeleitetem Idealismus, fundamentalistischer Ideologie und kaltblütiger Selbstinszenierung nach kurzen Schlüssen auf vermeintliche Kronzeugen, geistige Anstifter und direkte Tatfolgen suchen, drohen in diese Falle zu tappen.

In einem Online-Gespräch mit der „Welt“ hat die Schriftstellerin Monika Maron gesagt, nur weil Breivik unter anderem bei Kafka, Churchill oder Merkel „fündig“ geworden sei, dürfe man solche Autoren und Meinungen, insbesondere „die Kritik am Islam“, nicht „in die Verantwortung für den terroristischen Akt eines Geisteskranken“ nehmen. An Marons Äußerung ist insoweit alles richtig, nur wenn sie bei dem Mörder von Oslo und Utoya von einem „Irren“ und „Wahnsinnigen“ spricht, irrt sie vermutlich nicht nur im strafrechtlichen Sinne. Der Mann gleicht der schieren Tat wegen zwar einem Monster, aber unzurechnungsfähig ist er deswegen noch nicht. Erstaunlich, wie schnell man hier bereit ist zu vergessen, was ziemlich „normale“ Mitmenschen beispielsweise in den Lagern des 20. Jahrhunderts, in medizinischen Folterlabors oder bei unzähligen (bürger-)kriegerischen Massakern angerichtet haben.

Natürlich wird kaum jemand Kafka – den Breivik, wenn überhaupt, nur missverstanden hat – oder Churchill als „Islamkritiker“ jetzt in nachträgliche Haftung nehmen für einen gegen „Kulturmarxismus“, islamische Religion und Multikulturalität mit Sprengstoff und Dumdum-Geschossen aufbegehrenden Killer. Aber während im tief betroffenen Norwegen auf imponierende Weise gerade eine Sprache der Vernunft und, ja wirklich: der Liebe und Versöhnung beschworen wird, gibt es in Deutschland schon wieder die als „Ursachenforschung“ gemeinte Aufgeregtheitsdebatte: mit ihrer Mischung aus Polemik, Insinuation und (politisch korrekter) Selbstanklage. Und prompt geht es plötzlich auch: um die Islamismuskritiker Thilo Sarrazin und Henryk M. Broder.

SPD-Chef Sigmar Gabriel sagt der dpa: „In einer Gesellschaft, in der Anti-Islamismus und die Abgrenzung von anderen wieder hoffähig werden, in der das Bürgertum Herrn Sarrazin applaudiert, da gibt es natürlich auch an den Rändern der Gesellschaft Verrückte, die sich letztlich legitimiert fühlen, härtere Maßnahmen anzuwenden.“

Gleich, ob man Gabriels Hypothese, die Sache mit dem Bürgertum und der angeblichen Hoffähigkeit, für richtig, falsch oder nur interviewmäßig verkürzt hält – die Folgerung scheint, für sich genommen, kaum bestreitbar zu sein. Und ist zugleich völlig unsinnig. Denn mit oder ohne Sarrazin gibt und gäbe es an den Rändern der Gesellschaft jene Verrückte. Wobei das Verrückte nur leider ist, dass der norwegische Mörder zwar fanatisch, egoman und gefühllos wirkt, nur eben nicht verrückt, siehe oben. Ein zweiter vielleicht wichtiger Punkt ist jedoch Sarrazin. Muss man, darf man einen verdienten Berliner Ex-Finanzsenator, Bundesbanker und Autor eines umstrittenen, in etlichen Aussagen hoch bestreitbaren, in anderen Passagen auch profund oder provokativ anregenden Sachbuchbestsellers so nebenbei in einem gedanklichen Atem mit der Tragödie in Norwegen nennen?

Eher nicht. Vermeintlich abgesicherter erscheint da auf den ersten Blick die Nennung des Namens Broder. Christian Bommarius, ein seine Leser oft genug zum Nachdenken bringender Kommentator, hat in der „Berliner Zeitung“ nach den Morden von Norwegen auch in Deutschland „dringend verbale Abrüstung“ empfohlen. Gleichzeitig aber nimmt Bommarius sich vier Spalten breit die oft sarkastischen Äußerungen Henryk M. Broders vor. Er nennt Broder, der spätestens seit Nine-Eleven das angebliche deutsche Appeasement gegenüber bestimmten islamischen Strömungen kritisiert, den „Tag und Nacht hämmernden Polemikroboter der deutschen Publizistik“. Verbale Abrüstung?

Lesen Sie mehr im zweiten Teil.

In dieses Spiel und den Kommentar kommt Broder aber dadurch, dass sich Killer Breivik in seinem Internet-Pamphlet auf einen Blogger namens „Fjordman“ bezieht, der seinerseits auch einzelne Äußerungen Broders zustimmend zitiert hat. Statt nun zumindest das allseits bekannte, hier gleichwohl übereinschlägige Phänomen des Beifalls von der falschen Seite zu bemühen, beginnt Bommarius ein sophistisches Stochern in Broders alten Artikeln. Um zwischenrein freilich zu konzedieren, dass es „demagogisch“ wäre „Broder und andere Islamophoben zu geistigen Brandstiftern zu erklären“.

Trotzdem wird an den ziemlich widerlichen Billigthriller „Tal der Wölfe“ erinnert, bei dem ein türkisch-arabisches Kommando heldenhaft eine Schar sadistischer, krimineller US-Soldaten im Nahen Osten zusammenballert und nebenbei für anti-israelische Anspielungen sorgt: unter dem (gelegentlichen) Beifall türkisch-stämmiger Kids auch in deutschen Kinos. Broders Kritik an dem – fünf Jahre alten – Film soll nun zum Erweis einer Anti-Migrantenhaltung innerhalb eines diffus bleibenden Aggressionsmilieus dienen. Wobei der Kritiker des Kritikers selber von der „latente(n) Gewaltbereitschaft in der deutschen Gesellschaft isolierter Migrantenkinder“ spricht. Das freilich klingt so rührend wie verschleiernd und ist genau der Polit-Korrekt-Sprech, der auch muslimisch und türkisch geprägte Islamismuskritikerinnen wie Nekla Kelec oder Seyran Ates aufregt.

Aber warum das alles? Keiner will keinen als „geistigen Brandstifter“ bezeichnen, indes nennt man Namen und suggeriert Nähen, was selbst noch in der Verneinung etwas haften lässt. Wie bei Marc Antons Rede in Shakespeares „Julius Caesar“: But Broder is an honorable man.

Tatsächlich bedeutet ein nicht ganz unintelligenter Mann, der mordet, aber vorher immerhin 1500 Seiten schreibt, für Intellektuelle eine Herausforderung. Man ist sogar im Innersten fast gekränkt, wenn so einer überhaupt Kafka kennt oder nennt. Und es gibt die in anderen Zusammenhängen oft ersehnte Vorstellung, dass das Wort auch Macht habe. Sogar die Macht der Tat. Der Verwandlung von Einsicht in praktische Aussichten, von Dichtung in Wirklichkeit. Die Romane von Dickens haben in Großbritannien einst zum Verbot der Kinderarbeit beigetragen, Emile Zolas Justizkritik hat im Fall Dreyfus zu später Gerechtigkeit geführt, Beecher-Stowes „Onkel Toms Hütte“ Amerikas schlechtes Gewissen gegenüber der Sklaverei der Schwarzen befördert.

Georg Büchner warnte in „Dantons Tod“ davor, dass aus Hirngespinsten Gewalttaten würden („Die Sünde liegt im Gedanken“); und die mehr als symbolische Kraft von Worten und literarischen Werken bewies in anderer Weise nur zu sehr Heinrich Heines Vorhersage, dass dort, wo Bücher brennen, auch Menschen brennen werden. Dennoch vollzieht sich Weltgeschichte, ereignen sich Gut und Böse kaum einmal auf Grund simpler, gleichsam monokausaler Ursachen.

Oft ist die Realität komplizierter als die Fiktion. Es führt kein direkter Weg von Marx zum Massenmord in den Gulags. Man kann in Hitlers „Mein Kampf“ zwar den Judenhass lesen und sogar schon das Gas riechen, aber Hitlers Aufstieg und die NS-Diktatur waren nicht durch das verquaste Buch bedingt.

Umgekehrt kann man jetzt auch sagen, der unselige Mörder habe die islamistischen Selbstmordattentate imitiert, nur ohne den Selbstmord. Jean-Paul Sartre hatte dazu angemerkt, das Absurde beim Selbstmord sei, dass der Selbstmörder die Früchte seiner Tat nicht mehr genießen könne. Nun muss man bei dem Mann in der Gefängniszelle von Oslo, der nicht an die paradiesischen Jungfrauen glaubt und auf Erden mit demonstrativ selbstzufriedenem Grinsen die Folge seiner Taten zu genießen scheint, nicht auch noch Sartre-Studien unterstellen. Die moralische Integrität der Öffentlichkeit wird dagegen erst auf die Probe gestellt, wenn Breivik im Gefängnis auch noch ein Buch schreibt, über seinen Kampf.

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