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Aufmerksamkeit ist alles. Mit der Aufschrift «I'm a Writer - Ask me about my Books» auf ihrem Kleid wirbt die israelische Autorin Noga Pesso aus Tel Aviv auf der Buchmesse in Frankfurt am Main für ihre Bücher.

© dpa

Notizen von der Buchmesse: Zukunft ist alles

Lesenächte im Römer und künstliche Intelligenz auf der Frankfurter Buchmesse.

Von Gregor Dotzauer

Die Gegenwart ist ein flüchtig Ding. Auf der Frankfurter Buchmesse wird sie zwar ständig beschworen, und von den Podien herab singt man das Lob der Literatur als Live-Erlebnis. Begegnen kann man ihr aber vor allem rund um den Römer, wo zwischen Kunstverein, Haus am Dom und Schauspiel ein fünftägiges Lesefest namens Open Books tobt, das bei freiem Eintritt ein internationales Panorama der aktuellen Literatur aufblättert. In der Katharinenkirche lesen Felicitas Hoppe, Martin Mosebach, Juri Andruchowytsch und viele andere jeweils am frühen Abend Texte von Menschen aus Kriegs- und Krisengebieten. Die flämischen und niederländischen Ehrengäste haben sich in der Alten Nikolaikirche eingenistet. Die ausgelassenste Stimmung herrscht indes an den beiden Abenden von Literatur im Römer, wo insgesamt 16 Schriftsteller im viertelstündigen Lese- und Talkformat durch das rappelvolle Gewölbe ziehen. Von Tommy Wieringa bis zu Heinrich Steinfest: Das Publikum hängt ihnen an den Lippen.

Auf der Messe dagegen ist man sich selbst immer einen Schritt voraus. Zukunft ist alles. Was hier und heute passiert, ist im Grunde längst passé. Die Franzosen feiern schon ihren Ehrengastauftritt im nächsten Herbst und werden sich dann wieder von den Georgiern verdrängen lassen müssen. Die Litauer rüsten sich für ihre Präsentation auf der Leipziger Buchmesse. Vor allem aber wird man den Eindruck nicht los, dass parallel zu dieser Inszenierung literarischer Kultur mitunter an deren Abschaffung gearbeitet wird. Zwischen den Panels, die den Trends im Digital Publishing von übermorgen mit Sinn und Verstand nachspüren, und denen, die von einem Aufbruch zu neuen multimedialen Erzählformen fantasieren, ohne die alten begriffen zu haben, verläuft oft nur ein schmaler Grat.

Erste Suchmaschinen können Texte auf ihre Bedeutung hin durchpflügen

Was die Literatur über die Welt weiß, geht jedenfalls nicht in Informationen auf. Aber so weit, wie die Digital Humanities bei der Erschließung narrativer Muster gekommen sind, ist es gut möglich, dass eine Suchmaschine wie yewno.com eines Tages auch die Fantasmen der Literatur durchleuchtet. Michael Keller, Bibliothekar der Stanford University und Vizepräsident von Yewno, hat bisher nur ein gigantisches Archiv wissenschaftlicher Texte eingepflegt. In der Art und Weise, wie er sie im Unterschied zu Google Scholar nicht nur auf Schlüsselbegriffe abklopft, sondern ihnen ihre semantischen Grundideen zu entreißen versucht, sind auch literarische Texte nicht gegen so viel künstliche Intelligenz gefeit. Dabei helfen ihm die Computerlinguistik und die Visualisierung begrifflicher Verwandtschaften über Zeiten und Kulturen hinweg. Yewno versucht, das synthetisch- kombinatorische Denken des Menschen und seiner neuronalen Netze zu imitieren. Noch muss der sich dabei nicht unterlegen fühlen. Wer weiß, wie es in zehn Jahren aussieht.

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