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Bayrische Tüftelkönige: Martin Gretschmann, Micha und Markus Acher sind "The Notwist".

© Jörg Koopmann

Notwist-Album "Close To The Glass": Die Entschleuniger

Für ihre Platte "Neon Golden" wurden The Notwist von Fans wie Kritikern gefeiert - und ließen dann sicherheitshalber auf sich warten. Nun soll "Close To The Glass" den Pop-Erfolg wiederholen.

Mal kurz reinhören, wie die Platte so ist. Das ist im Fall von „Close To The Glass“, dem neuen Werk von The Notwist, kein einfaches Unterfangen. Um ehrlich zu sein: Es muss scheitern. Denn es gibt keinen bestimmten Sound, der sich durch die zwölf Stücke des Albums zieht. The Notwist klingen vielmehr mal so und dann schon wieder ganz anders. Der elektronische Avantgarde-Pop des Titelstückes „Close To The Glass“ versetzt einen in eine angestrengte Grübelstimmung, während man schon beim darauffolgenden, sich strahlend entfaltenden Indiegitarrenhit „Kong“ sofort und unbedingt sämtliche Frühlingsgefühle rauslassen möchte. Falls das Konzeptalbum je wirklich tot war, wie immer wieder behauptet wird, lebt es dank dieser Platte wieder, die nur versteht, wer sie von vorne bis hinten durchhört und das am besten den ganzen Tag lang.

The Notwist, ursprünglich aus dem beschaulichen bayrischen Weilheim kommend, wo es sie immer wieder hinzieht, so auch für die Aufnahmen ihres neuen Werkes, wurden Anfang des Jahrtausends berühmt mit ihrer Großtat „Neon Golden“. Ein paar waldschratig anmutende Typen, die mit ihren Bärten, Brillen und Schlabberpullis allesamt aussahen wie Physiklehrer, löteten aus den Resten des Gitarrenrocks, den sie selbst einst liebten, aber langsam für überholt hielten, und der Elektronik, der ihrer Meinung nach die Zukunft gehörte, eine wegweisende Platte zusammen. Eine, mit der sie sogar in den USA zu einer Größe aufstiegen. Nicht ganz in die Liga von Rammstein, aber bei an guter Popmusik interessierten Hipstern aus New York gelten The Notwist längst als Radiohead aus Bayern. Auch weil The-Notwist-Sänger Markus Acher ähnlich melancholisch intonieren kann wie Thom Yorke – allerdings mit deutschem Akzent.

Wie reagiert eine Band auf Begeisterungsstürme aus der Kritik? Am besten erst mal nicht

Was macht eine Band, wenn ein Album wie „Neon Golden“ Kritik und Publikum unisono begeistert? Was soll auf ein Werk folgen, das beängstigend perfekt geraten ist und das wie ein ultimatives Statement wirkt? Am besten erst mal nichts. The Notwist, heute im Wesentlichen ein Trio, bestehend aus den Brüdern Micha und Markus Acher und Martin Gretschmann, formieren sich sowieso nur alle paar Jahre zur Einheit. Dazwischen verliert sich jedes Bandmitglied in diversen Projekten, Filmmusiken und Hörspielen und im Falle Gretschmanns bei regelmäßigen DJ-Jobs. So ließ sich die Gruppe sechs Jahre Zeit, den „Neon Golden“-Nachfolger „The Devil, You & Me“ aufzunehmen. Und auf dessen Nachfolger musste man nun weitere sechs Jahre warten.

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Auch andere große Bands wie etwa die Trip-Hop-Pioniere von Portishead leisten sich eine ähnliche Arbeitsökonomie. Dass es die Engländer gerade mal auf drei reguläre Studioalben in 20 Jahren gebracht haben, zeugt von einem gewissen Willen zur Entschleunigung. Tatsächlich haben The Notwist laut Markus Acher bei der Arbeit an „Close To The Glass“ an die Klangexperimente des letzten Portishead-Albums gedacht. Diese Referenz passt auch deswegen so gut, weil sich Portishead ebenfalls von der Idee befreien mussten, nochmals etwas derart Stimmiges aufnehmen zu können wie ihre viel gerühmte erste Platte. Portishead mussten sich sozusagen erst von sich selbst emanzipieren, um am Ende dann doch wieder ein Meisterwerk aufnehmen zu können.

Ähnliches gelingt nun auch The Notwist, obwohl sich der Eindruck von Meisterschaft nach den ersten paar Durchläufen von „Close To The Glass“ zunächst nicht einstellen mag. Man denkt: zu disparat, zu inkohärent, die Platte fällt auseinander, was soll das alles? Aber dann erkennt man plötzlich wieder jede Menge verrückte Soundeinfälle in den Stücken, aber eben nicht übereinandergeschichtet wie bei „Neon Golden“, sondern einen nach dem anderen. Es entfaltet sich hier mal ein psychedelisches Getüftel, dort mal eine Shoegazing-Gitarre am Beginn von „7-Hour-Drive“, dann wieder Referenzen an den Krautrock, an Ambient, an Jazz. Und irgendwann – man muss sich nur darauf einlassen – ergibt alles Sinn. Und es wird klar, dass es nach diesem großen Album erneut sehr lange dauern muss, bis The Notwist wieder etwas von sich hören lassen.

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