zum Hauptinhalt

Kultur: NRW-Triennale: Mortier und die neue Mitte

Mortier kommt. Nur - leider nicht nach Berlin.

Mortier kommt. Nur - leider nicht nach Berlin. Gerard Mortier, bis 2001 Leiter der Salzburger Festspiele, soll in Nordrhein-Westfalen ein Festival ganz neuen Zuschnitts aufbauen: eine Triennale, die Städte und Sparten übergreifend internationales Musiktheater, Schauspiel und Bildende Kunst präsentiert, eine Documenta der darstellenden Künste. Damit steht nicht nur die deutschsprachige, sondern auch die europäische Szene womöglich vor einer Neuordnung. Die alt eingesessenen Festspielorte - Salzburg, Wien, Avignon, Berlin - haben ab dem Jahr 2003 hochkarätige Konkurrenz zu rechnen.

Ein Coup. Aber was hat dies mit der Demission von Kulturstaatsminister Michael Naumann zu tun? Und warum werden die nordrhein-westfälischen Aktivitäten Naumanns Nachfolger Julian Nida-Rümelin beschäftigen? Weil es hier um die Frage geht, die seit Monaten die kulturpolitische Debatte prägt: Zentralismus oder Länderhoheit? Der Bund hat sich zur Hauptstadt bekannt. Kritiker des scheidenden Ministers kultivieren das Schreckgespenst einer alles verschlingenden preußischen Vormacht.

Aus der Düsseldorfer Staatskanzlei kommt nun die Antwort. Es ist eine gute, in die Zukunft weisende Antwort - Ministerpräsident Wolfgang Clement, der ja auch laut über eine Olympia-Bewerbung nachdenkt, treibt mit der Verpflichtung Gerard Mortiers die kulturelle Entwicklung des größten deutschen Ballungsraums voran. Nordrhein-Westfalen holt den kompetentesten Festival-Manager, und ihm wird ein Etat von 40 Millionen Mark zur Verfügung gestellt. Die Summe übertrifft das Salzburger Budget, zu schweigen von den finanziellen Möglichkeiten der Berliner Festspiele.

Für Nordhein-Westfalen ist dieses hochrangige Prestigeprojekt aus vielerlei Gründen einleuchtend. Die alten Mülheimer Ruhrfestspiele werden einbezogen in das neue Konzept. Wie bei "Tanzraum NRW" und demnächst dem Theater der Welt bespielt man die Bühnen des Landes, wird das Ruhrgebiet zu einer ausgedehnten Festivalzone. Und die europäische Dimension ergibt sich ideal mit der Person Mortier. Den Flamen zieht es von Salzburg nach Gent zurück. Gut vorstellbar, dass sich das neue Festival in Richtung Benelux-Staaten erweitert. In den Brennpunkt rückt die kulturelle europäische Kernregion. Gerade die Flamen haben es in den vergangenen Jahren hervorragend verstanden, eine avantgardistische Identität zu entwickeln und in die Welt hinaus zu tragen, verbunden mit Künstlern wie Jan Fabre, Anna Teresa de Kersmaker, Alain Platel und Luk Perceval. In der Kultur lebt der europäische Gedanke. Beim Berliner Theatertreffen 2000 waren bereits mehr als die Hälfte der eingeladenen Inszenierungen europäische Koproduktionen mit Festival-Hintergrund.

Ausgerechnet auf diesem Gebiet tut sich Berlin, das einst so weltoffene, erstaunlich schwer. Der Tanz zumal ist eine internationale Disziplin. Doch zeigt das Scheitern des BerlinBalletts (siehe nebenstehenden Artikel), dass in der deutschen Hauptstadt die alten Strukturen oftmals neue Ideen überleben und erdrücken. Das BerlinBallett muss als Menetekel für die so genannte Opernreform betrachtet werden: Nichts bewegt sich. Debatten drehen sich im Kreis. Am Ende ist man so mau wie zuvor. Künstler, Intendanten, Projekte werden en masse verschlissen. War das der Grund, dass Gerard Mortier mit den Berliner Kulturpolitikern des Bundes und des Landes nie wirklich ins Gespräch gekommen ist?

Die Auseinandersetzung um das Goldene Kalb der Kulturhoheit und die Krake eines Berliner Zentralismus wird angesichts der Düsseldorfer Pläne obsolet. Die neue Mitte liegt nicht in Berlin, sondern in Bottrop?! Das beweist, dass Hauptstadtkultur nirgendwo neue Unternehmungen behindert, sei es in München, Hamburg, Dresden oder Köln, Bonn und Düsseldorf. Clements Vorstoß entlastet geradezu die Naumanns und Nida-Rümelins und Stölzls von dem Vorwurf, sich in Berlin über den Rest des Landes erheben zu wollen.

Für Joachim Sartorius, den neuen Leiter der Berliner Festspiele, ist das Mortier-Projekt eine starke Herauforderung. Sartorius will in seinem Programm ebenfalls die Bildende Kunst - und die Literatur! - forcieren und das internationale Profil schärfen. Die Berliner Festspiele sollen wendiger werden, geistig und ästhetisch beweglicher im interdisziplinären Rahmen. Dazu braucht Sartorius mehr Geld, als Naumann ihm mitgibt.

Was immer Clement und Co. zu der Festival-Gründung getrieben hat - es hat mit den neuen Kräfteverhältnissen in der Bundesrepublik und in Europa zu tun. Was kann es Besseres geben als eine große, selbstbewusste Konkurrenz der Kulturzentren? Mortier kommt - mit Aplomb!

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false