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Auch im Fall des Welfenschatzes im Kunstgewerbemuseum Berlin gab es Streit, die Kommission konnte nicht schlichten. Jetzt wird die Restitution vor amerikanischen Gerichten verhandelt. Hier ein Büstenreliquiar des heiligen Cosmas.

© picture alliance / dpa/Alina Novopashina

NS-Raubkunst: Jeder Fall ist anders

Über die Experten-Kommission, die in strittigen Restitutionsfällen von NS-Raubkunst zu schlichten versucht, ist eine Debatte entbrannt. Wie hat sie die Fälle bisher entschieden? Und was sollte sich ändern?

Zehn Tage lang reiste Kulturstaatsministerin Monika Grütters durch die USA. In Hollywood weilte die bundesdeutsche Filmförderin anlässlich der Oscar-Verleihung, in Silicon Valley sammelte sie Meinungen zu Datensicherheit und Urheberrecht, und zum Abschluss suchte sie in New York den Schulterschluss mit Ronald Lauder, dem Präsidenten des Jüdischen Weltkongresses, in Sachen NS-Raubkunst und Restitution. Grütters betonte wie stets ihre „Übereinstimmung“ mit Lauder, der die Gelegenheit nutzte, der Staatsministerin eine deutliche Forderung ins Stammbuch zu schreiben. Es geht um die „Beratende Kommission im Zusammenhang mit der Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter, insbesondere aus jüdischem Besitz“. Diese nach ihrer Vorsitzenden, der früheren Bundesverfassungsgerichtspräsidentin Jutta Limbach, in Kurzform bezeichnete Kommission, die Empfehlungen zur außergerichtlichen Einigung über strittige Restitutionsforderungen ausspricht, solle umorganisiert werden. „Es muss sichergestellt sein,“ wird Lauder in einer Mitteilung aus dem Hause Grütters zitiert, „dass sich deutsche Museen und Sammlungen einer Anrufung der Limbach-Kommission nicht widersetzen, dass deren Entscheidungen transparent und ausführlicher begründet sind, dass es klare Prozessregeln für die Parteien vor der Kommission gibt und dass ihre Besetzung die Perspektive der antragstellenden Opfer einbezieht.“

Kulturstaatsministerin Monika Grütters hat sich Restitution und Aufklärung bei NS-Raubkunst auf die Fahnen geschrieben.
Kulturstaatsministerin Monika Grütters hat sich Restitution und Aufklärung bei NS-Raubkunst auf die Fahnen geschrieben.

© dpa/Sören Stache

Die CDU-Politikerin sicherte zu, „Ronald Lauders Anregungen mit den zuständigen Ländern und Kommunen und den Mitgliedern der Beratenden Kommission zu erörtern“. Zurück in Berlin, verteidigte Grütters die bisherige Zusammensetzung der Kommission „ausschließlich mit unabhängigen Einzelpersönlichkeiten“. Der abschließende Satz ihrer Stellungnahme betont scheinbar Selbstverständliches: „Grundsätzlich muss gewährleistet sein, dass die Mitglieder der Beratenden Kommission vollkommen unabhängig agieren können. Das steht bei den jetzigen Mitgliedern zweifelsfrei außer Frage.“ Damit reagiert Grütters auf einen Offenen Brief, den fünf mit Restitutionsbegehren befasste Rechtsanwälte aus Deutschland, Italien und den USA verschickt hatten. Darin heißt es ohne Umschweife über die Kommission: „Der Mangel an Fairness, an Transparenz und Gerechtigkeit des Verfahrens ist offensichtlich.“

Alle sind sich einig: Die Beraterkommission braucht ein jüdisches Mitglied

Als erste von neun Forderungen wird „die Berufung von Vertretern der Verfolgtengruppen“ genannt, das Gegenteil der bisherigen Berufungspraxis. Ferner zielen die Anwälte auf eine durchgehende Formalisierung der Beratung und die Verbindlichkeit der Empfehlung, mithin eine Art Gerichtsbarkeit außerhalb des gesetzlichen Rechtswegs. Dieser Rechtsweg aber steht jedermann offen: Bei Verfahren zu NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut können etwaige Ausschlussfristen wie Verjährung ausdrücklich nicht geltend gemacht werden. Dazu haben sich Bund, Länder und Kommunen in Umsetzung der Washingtoner Erklärung von 1998 verpflichtet. Der rein beratende Charakter der Limbach-Kommission hat allerdings zur Folge, dass zwar die Begründungen der Empfehlungen veröffentlicht werden – sie sind jederzeit im Internet nachzulesen –, die Beratungen selbst jedoch vertraulich bleiben. Im Fall Sachs – der von der Kommission abgelehnten, im Rechtsweg vom Bundesgerichtshof dann aber verfügten Herausgabe einer umfangreichen Plakatsammlung durch das Deutsche Historische Museum an die Erben des Sammlers – hatte einer der Kläger Einsicht in die Akten der Kommission verlangt. Dies wurde vom zuständigen Verwaltungsgericht abgewiesen, da die Kommission „keine Institution sei, die eine öffentlich-rechtliche Verwaltungsaufgabe wahrnehme“. Die Empfehlungen, so das Gericht, „beruhten auf einer ethisch-moralischen Abwägung und seien rechtlich nicht bindend“.

Das berühmte "Simplicissimus"-Titelblatt, ein Pamphlet gegen Kaiserreich und Militarismus, gehört zur Plakatsammlung des jüdischen Berliner Zahnarztes Hans Sachs. Der Streit zwischen dem Deutschen Historischen Museum und den Sachs-Erben beschäftigte die Gerichte über Jahre.
Das berühmte "Simplicissimus"-Titelblatt, ein Pamphlet gegen Kaiserreich und Militarismus, gehört zur Plakatsammlung des jüdischen Berliner Zahnarztes Hans Sachs. Der Streit zwischen dem Deutschen Historischen Museum und den Sachs-Erben beschäftigte die Gerichte über Jahre.

© Imago

Ende 2015 hatte sich auch Hermann Parzinger für ein geändertes Verfahren bei der Berufung und der Arbeit des Gremiums ausgesprochen. Er werbe dafür, sagte der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die Besetzung der Kommission „unter Einbeziehung von Persönlichkeiten aus insbesondere jüdischen Opferorganisationen“ vorzunehmen, „weil sie die Akzeptanz der Empfehlung erheblich verstärken könnte“ – nämlich der Schlussempfehlung des Gremiums, ob einem Restitutionsbegehren stattgegeben werden soll oder nicht. Die einseitige Anrufung der Kommission – bislang müssen beide Parteien eines Restitutionsfalls zustimmen – könnte strittige Verfahren durch das moralische Gewicht einer Kommissionsempfehlung voranbringen.
In New York hatte sich Grütters gegen die Entsendung von Verbandsvertretern ausgesprochen. Nachdem sich um ihre Begründung einige Missverständnisse rankten, steht nun fest: Ebenso wie Ronald Lauder befürwortet sie die Berufung einer Persönlichkeit „mit jüdischem Hintergrund“. Im Gespräch ist wohl Michael Blumenthal, der beiderseits des Atlantiks hochgeschätzte, langjährige Gründungsdirektor des Jüdischen Museums Berlin.
Gegründet wurde die Limbach-Kommission im Jahr 2003 auf Anregung des ersten Kulturstaatsministers, Michael Naumann (SPD). Sie soll vermittelnd wirken, wenn sich Anspruchsteller und öffentliches Museum nicht einigen können.

Die bisherigen Urteile des Gremiums sind ausgewogen

Die neben der Vorsitzenden Limbach weiteren sechs Mitglieder kommen aus den Bereichen Philosophie, Jurisprudenz, Geschichte, Kunstgeschichte und – in der Person von Rita Süssmuth – der Politik. In den reichlich zwölf Jahren aktiver Tätigkeit wurde lediglich über elf Vorlagen entschieden, da zur Behandlung durch die Kommission das Einverständnis beider Parteien notwendig ist.
Das zu ändern, ist eine der Forderungen. Das Urteil der Kommission ist mathematisch ausgewogen: Vier Mal plädierte sie auf Rückgabe, vier Mal auf Ablehnung, drei Mal schlug sie einen Vergleich vor, zuletzt Ende 2015 bei einem barocken Gemälde aus dem Bestand des städtischen Düsseldorfer Museums Kunstpalast. Die detaillierte Begründung zeigt alle Schwierigkeiten, die oft verschlungene Geschichte von Eigentumsübertragungen in den dreißiger Jahren nachzuvollziehen, zumal wenn bereits damals konkurrierende Ansprüche verschiedener Miterben im Spiel waren. „Angesichts der nicht mehr aufklärbaren Geschichte der Versteigerung des Gemäldes“ empfiehlt die Kommission, anstelle der Restitution des Kunstwerks eine Ausgleichszahlung zu leisten.
Den umfangreichsten Vorgang behandelte das Gremium Anfang 2014 mit dem Welfenschatz. Die 42 Stücke dieser Sammlung, die heute im Kunstgewerbemuseum der Staatlichen Museen zu Berlin aufbewahrt wird, werden von den Erben der Kunsthändler beansprucht, die den Schatz 1935 an das Land Preußen verkauften. Der Fall machte Schlagzeilen, auch deshalb, weil der – nur grob zu schätzende – Verkehrswert der Sammlung mit weit über 100 Millionen Euro beziffert wird.

Im Fall des Welfenschatzes wurde Klage in den USA erhoben

Aufgrund der weit vor die NS-Zeit zurückreichenden Geschichte der Kaufverhandlungen nach dem Schock der Weltwirtschaftskrise kam die Kommission zu der Auffassung, „dass es sich bei dem Verkauf des Welfenschatzes nicht um einen verfolgungsbedingten Zwangsverkauf gehandelt“ habe. Dagegen haben Vertreter einiger der damals Beteiligten – die an der Verkaufskampagne beteiligten Händler sind bis heute ebenso wenig vollständig bekannt wie ihre internen rechtlichen und finanziellen Beziehungen – Klage in den USA erhoben, wo sich die Anwälte offenbar bessere Chancen ausrechnen. Das auf Einverständnis bauende Schiedsverfahren der Kommission ist damit ausgehebelt, eine Reform ihrer Struktur und Arbeitsweise im Grunde unumgänglich. Der Druck auf Staatsministerin Grütters ist deutlich gewachsen. Das sehr sorgfältige Verfahren der Limbach-Kommission steht der vor allem von Anwälten immer lauter geforderten schnellen Herausgabe von Kunstwerken aus Museen im Wege. Die in der Washingtoner Erklärung geforderten „Schritte, um eine gerechte und faire Lösung zu finden“ sind schwerer als je seit der Einrichtung der Limbach-Kommission zu gehen. Das schwere Erbe der NS-Zeit bleibt, so oder so.

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