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Kultur: NS-Zwangsarbeiter: In der Pflicht

Gerhard Schröder ist noch ein bisschen vorsichtig: "Auf dieser Basis lässt sich in enger Kooperation mit der Wirtschaft erreichen, dass der Bundestag noch vor der Sommerpause Rechtssicherheit feststellen kann", formulierte der Bundeskanzler am Freitagmittag. Wenn schon so oft im falschen Moment von einem Durchbruch die Rede gewesen ist wie im Streit um die Zwangsarbeiter-Entschädigung, dann traut sich eben im richtigen Moment niemand mehr, das Wort zu benutzen.

Von Robert Birnbaum

Gerhard Schröder ist noch ein bisschen vorsichtig: "Auf dieser Basis lässt sich in enger Kooperation mit der Wirtschaft erreichen, dass der Bundestag noch vor der Sommerpause Rechtssicherheit feststellen kann", formulierte der Bundeskanzler am Freitagmittag. Wenn schon so oft im falschen Moment von einem Durchbruch die Rede gewesen ist wie im Streit um die Zwangsarbeiter-Entschädigung, dann traut sich eben im richtigen Moment niemand mehr, das Wort zu benutzen.

Aber das Urteil, das ein Berufungsgericht in New York am Donnerstag verkündet hat, ist der Durchbruch. Auch wenn es noch ein bisschen dauern wird, bis das alle gemerkt und förmlich anerkannt haben. Seit zwei Jahren wogt der Streit hin und her. Im Kern geht er immer um das Gleiche. Die in einer Stiftungsinitiative zusammengeschlossenen deutschen Unternehmen sind im Prinzip bereit, jene NS-Zwangsarbeiter wenigstens symbolisch zu entschädigen, die vor mehr als einem halben Jahrhundert als billige Arbeitssklaven in Deutschland schuften mussten. Diese Bereitschaft war freilich von Beginn an nicht ganz freiwillig. Sie war eine Reaktion darauf, dass US-Anwälte Anfang 1998 in den Vereinigten Staaten Sammelklagen ehemaliger Zwangsarbeiter gegen Firmen anstrengten. Das, schwante den Unternehmen, könnte teuer werden - US-Gerichte sind bekanntlich nicht zimperlich, wenn es um Schadensersatz geht.

Dies war der Ausgangspunkt für einen politisch-juristischen Handel: Die Wirtschaft beteiligt sich an einem Zehn-MilliardenMark-Entschädigungsfonds; die Politik sorgt dafür, dass die US-Klagen niedergeschlagen werden. Am Schluss spitzte sich der Streit auf jenen Musterfall in New York zu, in dem jetzt das entscheidende Wort gesprochen wurde: Drei Richter eines Berufungsgerichts kassierten das jüngste Urteil der Richterin Shirley Kram in zwei Punkten.

Kram nämlich hatte zwar vor kurzem die bei ihr anhängigen Sammelklagen abgewiesen. Aber sie hatte dies unter anderem an die Bedingung geknüpft, dass aus dem deutschen Fonds auch Ansprüche von Opfern bedient werden, die in Österreich zu Zwangsarbeit verpflichtet worden waren. Das, entschied das Berufungsgericht, gehe zu weit: Ein US-Gericht könne schon vom amerikanischen Gesetzgeber nicht verlangen, seine Gesetze zu ändern; um wie viel weniger von einem ausländischen Souverän.

Wie man diesen Spruch zu deuten habe, gab Otto Graf Lambsdorff schon am Freitagmorgen vor: "Jetzt werden wir mit Sicherheit vor der Sommerpause den Beschluss haben und mit dem Auszahlungsprozess beginnen können." Der Beschluss - das ist die förmliche Feststellung des Bundestages, dass nunmehr Rechtssicherheit bestehe, dass also die deutsche Wirtschaft nicht mehr damit rechnen müsse, in den USA vor den Kadi gezerrt zu werden. Dieser Beschluss wiederum ist die förmliche Voraussetzung dafür, dass das Geld an die vielleicht 1,5 Millionen ehemaligen Zwangsarbeiter zu fließen beginnt.

Ist es also soweit, mehr als ein halbes Jahrhundert nach Kriegsende? Der Sprecher der Stiftungsinitiative, Wolfgang Gibowski, hat in einer ersten Reaktion gewarnt: Es gebe noch andere relevante Klagen in den USA, die Wirtschaft müsse prüfen ...

Aber auch er weiß, dass der politische Druck von Tag zu Tag steigt. Eine breite Mehrheit für den Bundestagsbeschluss gäbe es sofort - auch gegen den Willen der Wirtschaft. Doch damit rechnet keiner. Anfang Juni will der Kanzler nochmals mit den Firmenchefs reden. Bis dahin dürfte auch das revidierte Urteil der Richterin Kram vorliegen und klar sein, ob sie das Bundesgericht bemüht - womit Experten kaum rechnen. Lambsdorff jedenfalls ist sich sicher: "Nun kann ich dem Bundeskanzler sagen: Dankeschön, jetzt haben Sie Ihren Auftrag zurück."

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