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Kultur: Nur der Anfang

Was der Fall Kirchner für die Museen bedeutet

Jüngst gab der Berliner Senat Kirchners Gemälde „Berliner Straßenszene“ an die Erben des ehemaligen Besitzers Alfred Hess zurück. Darüber entbrannten heftigen Diskussionen. Bei einer heute im Berliner Brücke-Museum anberaumten Pressekonferenz wollen die Kritiker nochmals beweisen, dass sich das Land Berlin aus Informationsmangel selbst um eine „faire und gerechte Lösung“ gebracht habe. Sie wollen laut Einladung „neue Fakten und Hintergründe berichten und die wahrheitswidrige Darstellung des Falles in der Öffentlichkeit durch die Senatsverwaltung dokumentieren“.

In der Argumentation der Kritiker hat immer wieder ein kunsthistorischer Artikel über die Hess-Sammlung von Christina Feilchenfeldt und Peter Romilly aus dem Jahr 2000 eine Rolle gespielt. Daraus gehe implizit hervor, dass es nicht im Sinn der Erben gewesen sein könne, das Bild rechtmäßigerweise zurückzufordern. Romilly ist ein enger Vertrauter der Erbin; bei den Verhandlungen hat er sie zu den zwei Treffen mit dem Senat begleitet. Über die Rolle der Anwälte und Auktionshäuser kann damit abermals spekuliert werden.

Nach dem Prüfraster müssen Museen nicht nur beweisen, dass sie rechtmäßige Eigentümer eines Kunstwerks sind. Sie sollen auch prüfen, ob eine Wiedergutmachungsleistung gezahlt wurde. Nur so sind Doppelentschädigungen auszuschließen. Genau das ist im Kirchner-Fall jedoch geschehen. Hans Hess, Sohn von Alfred Hess, stellte beim Entschädigungsamt Berlin am 21. August 1957 einen Wiedergutmachungsantrag. Krieg, Verfolgung, und Plünderung hätten dazu geführt, dass der überwiegende Teil der 4000 Werke umfassenden Kunstsammlung in Verlust geraten sei. Das Verfahren endete 1961 in einem Vergleich: Die Bundesrepublik Deutschland zahlte Hess 75 000 DM. Damit sollten alle Ansprüche auf Schadensersatz gemäß dem Bundesgesetz für die Entschädigung der Opfer des Nationalsozialismus erfüllt sein.

Die Erben von Hans Hess haben nun aber ein Bild aus jener Sammlung zurückerhalten – den Kirchner. Jost von Trott zu Solz, der Anwalt des Berliner Senats, erklärt dazu: „Eine gezahlte Entschädigung schließt die spätere Restitution nicht aus.“ Das sei auch bei Lastenausgleichszahlungen für Grundstücke in der ehemaligen DDR gängiges Prinzip gewesen. Normalerweise müssten die Hess-Erben die bereits gezahlte Entschädigung für dieses konkrete Bild also an das Bundesamt zur Regelung offener Vermögensfragen zurückzahlen. „Das wären gemessen an der damaligen Summe anteilig vielleicht drei Euro“, sagt von Trott zu Solz. Das Amt habe daraufhin verzichtet.

Das zeigt: Die Regelungen wollen Doppel-Entschädigung nicht. Sie schließen sie aber auch nicht aus. Jene Erben, die nach dem Zweiten Weltkrieg schon Geld erhielten, können ein zweites Mal Wiedergutmachung verlangen. Allein die Hess-Erben fordern bereits weitere Bilder zurück. Ute Haug, Provenienzforscherin der Kunsthalle Hamburg, beklagt: „Die Museen werden allein gelassen.“ Es fehle der politische Wille, die bestehenden Regeln zu überarbeiten. Auch 61 Jahre nach Kriegsende ist die Wiedergutmachung noch immer nicht abgeschlossen.

Stephanie Ringel

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