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Kultur: O wunderbares Land!

Ein Satz Jean Pauls präludiert die große Ausstellung: "Die Erinnerung ist das einzige Paradies, woraus wir nicht vertrieben werden können." Das Wissen darum hält den Besucher einen Ausstellungsrundgang lang in dieser schönen Schwebe: Wird er nun endlich auf den Garten Eden, diesen imaginären Sehnsuchtsort, im Essener Folkwang-Museum stoßen oder doch wieder nur seine Enttäuschung finden?

Ein Satz Jean Pauls präludiert die große Ausstellung: "Die Erinnerung ist das einzige Paradies, woraus wir nicht vertrieben werden können." Das Wissen darum hält den Besucher einen Ausstellungsrundgang lang in dieser schönen Schwebe: Wird er nun endlich auf den Garten Eden, diesen imaginären Sehnsuchtsort, im Essener Folkwang-Museum stoßen oder doch wieder nur seine Enttäuschung finden? Die Ausstellungsmacher geben sich skeptisch.In Anlehnung an einen Bildtitel des am Ende seines Lebens gründlich desillusionierten Malers haben sie die Bilderschau mit "Das verlorene Paradies" überschrieben.Paul Gauguin selbst lebte und arbeitete aus diesem Widerspruch heraus: Am Südseetraum ging er elend zugrunde und hinterließ von dort doch Bilder, in denen sich seitdem unsere Vorstellungen vom irdischen Paradies verdichtet hat.

Nach der Stuttgarter Staatsgalerie ist das Folkwang-Museum das zweite große deutsche Ausstellungshaus, das Gauguin aus Anlaß seines 150.Geburtstages würdigt, während man in seinem Heimatland Frankreich diese Gelegenheit ungenützt verstreichen läßt.Während die Stuttgarter die Stätte von Gauguins Wirken untersuchten, der Entwicklung seiner Malerei von den Bretagne-Bildern bis zu den Erträgen der ersten Tahiti-Reise nachgingen und auch seine händlerischen Strategien als "wilder Maler" und Exot der Pariser Kunstszene offenlegten, beschäftigen sich die Essener vor allem mit dem Mysterium des Paradieses.

Gewiß, Gauguin wird gelobt und gefeiert als Vater der Moderne neben Vincent van Gogh und Paul Cézanne, ebenso die Verselbständigung der Farbe in seinen Bildern und auch die Vorreiterrolle als Maler "primitiver" Motive, doch über allem steht die Beschwörung des Paradiesischen.Wie vor hundert Jahren, als Gauguin von seinem ersten Tahiti-Aufenthalt sechzig Bilder mitbrachte und bei Durand-Ruel der Pariser Öffentlichkeit vorstellte, wird hier noch einmal an die diffusen Sehnsüchte eines Fin de siècle-Publikums appelliert.Doch während damals kein Bild verkauft wurde, soll nun in Essen der fünf Jahre zurückliegende Publikumserfolg der großen "Morosow und Schtschukin"-Schau mit über einer halben Million Besuchern übertroffen werden.

Die Aussichten bestehen durchaus, denn wie damals ist es Direktor Georg W.Költzsch durch seine ausgezeichneten Beziehungen zur St.Petersburger Eremitage und dem Moskauer Puschkin Museum gelungen, sensationelle Leihgaben zu bekommen.Neunzehn Bilder stammen von dort, darunter auch jenes Hauptwerk "Ruperupe" von 1899, das nun erstmals außerhalb Rußlands zu sehen ist, ebenso zahlreiche andere, die seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr in Deutschland ausgestellt waren.

Als Gauguin nach 1891 nach Tahiti aufbrach, der fernsten der französischen Kolonien, wägte er sich noch im Glauben, dort paradiesische Zustände vorzufinden.Der Weltumsegler Bougainville hatte ein Jahrhundert zuvor diese Idee in die Köpfe der Europäer gepflanzt, indem er ihnen dieses ferne Stückchen Land in seinen Memoiren als "Neues Kythera" beschrieben hatte.Ihre Phantasie über die dort herrschenden himmlischen Zustände aber beflügelte der Roman des Schriftstellers Pierre Loti, in dem er als ehemaliger Marineoffizier seine Liaison mit einem Maori-Mädchen beschrieb.

Diese erhoffte Mischung aus unberührter Natur und unbescholtener Liebe lockte den in Frankreich unter Geld- und Erfolgsmangel leidenden Gauguin."In Tahiti werde ich meine Kunst ganz zum Wachsen bringen, im Zustand des Wilden und Primitiven.Ich brauche die Stille ...", erklärte er Odilon Redon in einem Brief.Was der Zivilisations-Flüchtling nach mehrmonatiger Überfahrt schließlich vorfand, deprimierte ihn nur noch mehr: "Angewidert" von "dieser ganzen europäischen Trivialisierung", dieser "verderblichen Tünche" zog er sich weiter ins Landesinnere zurück, wo er für die nächsten zwei Jahre blieb.

Doch trotz der Enttäuschung für Gauguin, trotz der anhaltenden finanziellen und gesundheitlichen Probleme ermalt sich der Künstler das Paradies selbst.Aus der Bretagne hat er bereits die flächige, wie bei einem Bildteppich gestaltete Raumteilung mitgebracht.Seine dort porträtierten Bäuerinnen und Fischersfrauen umgibt ein ähnliches Phlegma wie die tahitianischen Modelle.Doch in der Südsee kommt der Zauber der Farben hinzu und auch eine besondere Magie.

Gauguins Menschen bewegen sich wie unter geheimnisvollen Mächten oder könnten auch selber Götter und Göttinnen sein.Besonders eindrucksvoll zeigt sich dies in "Nevermore" (1897), in dem ein Teufelsvogel bedrohlich über einem nackt auf dem Bett liegenden Mädchen hockt.Die Einheit von Mensch und Natur, die Kommunikation mit den göttlichen Mächten scheint noch intakt: In "Mondgöttin Hina und Erdgottheit Fatu" (1893) tritt ein Frau vertrauensvoll an einen Felsen, der wie ein Kopf geformt ist und aus dem Wasser sprudelt.Ihren Höhepunkt hat die Ausstellung mit "Ruperupe" (O wunderbares Land, 1899), das wie bei einem klassischen Paradies-Bild Mensch, Tier und Natur in größter Harmonie beeinander zeigt.

Immer wieder tauchen bei Gauguin christliche Motive und pagane Darstellungen auf.Wie eine Madonna tritt dem Betrachter die Tahitianerin entgegen, nicht mit dem Jesusknaben, sondern einer Schale roter Blüten."Te avae no Maria" (Marienmonat Mai, 1899) ist der Muttergottes gewidmet.Als böser Geist tritt in diese Harmonie das Antlitz Europas.In "Contes barbares" (1902) drängt sich ein krallenfüßiger Europäer in giftig violettem Gewand zu zwei einträchtig zusammen sitzenden Maori-Frauen mit Blumen im Haar und nur einem Hüfttuch bekleidet.

Gauguins Bilder sollten in Europa wie eine Initialzündung wirken.Seine Suche nach dem Ursprünglichen animierte nachfolgende Generationen zu eigenen Erkundungen.Die Essener Ausstellung zeigt in ihrem Epilog, wie sich diese Anregung auf die deutsche Malerei auswirkte.Ohne Gauguin wäre der Expressionismus nicht denkbar.Die "Brücke"-Maler fanden ihr Tahiti schon am Moritzsee bei Dresden, wo sie sich zumindest vorübergehend der Natürlichkeit nahe wähnten.Einträchtig wie die Maori-Frauen und ebenfalls wie Gott sie erschaffen hat, hocken die Badenden von Kirchner, Pechstein und Mueller am Ufer des Weihers.Am Ende aber steht Noldes "Verlorenes Paradies" (1921).Er konstatiert noch einmal den Verlust, mit dem sich zumindest der Maler Gauguin nicht abfinden wollte.

Museum Folkwang, Essen, bis 18.Oktober; Katalog (DuMont) 48 DM, im Buchhandel 98 DM.In der Neuen Nationalgalerie Berlin vom 31.Oktober bis 10.Januar 1999.

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