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Barack Obama, wiedergewählter Präsident der USA, ist hinter seinen Ansprüchen zurück geblieben.

© AFP

Obamas Wahlsieg: Ein Visionär geht, ein Versöhner kommt

Wenn Obama sein Land voranbringen will, muss er die USA reindustrialisieren. Eine Analyse des Wahlsiegs.

Drei Katastrophen haben Barack Obama zur Wiederwahl verholfen. Erstens: die exorbitante Staatsverschuldung. Der Nation droht ein Zusammenbruch, wie er sich in Griechenland abzeichnet – nur dass ihr der Rückhalt durch eine Staatenunion fehlt. Die Wähler trauten Obama offensichtlich zu, dass er den Absturz am fiscal cliff, dem Budgetabgrund, verhindert. Zweitens: die fatale Niederlage, die er sich beim ersten TV-Streitgespräch mit Mitt Romney holte und die er wieder wettmachte. Drittens: der tropische Sturm „Sandy“. In einem kalten Herbst ohne Strom, Heizung und ein funktionierendes öffentliches Verkehrssystem zu sein, und mehr und mehr Ratten herumhuschen zu sehen, war für die Amerikaner ein Schock, dem sie nicht wieder ausgesetzt sein wollen. Obamas Hilfsaktionen hoben ihn ab von seinem Vorgänger Bush jr., der bei der Überschwemmung von New Orleans nach „Katrina“ seine Inkompetenz unter Beweis gestellt hatte.

Vor vier Jahren glänzte Obama als Rhetoriker, als Visionär, als Heilsbringer. Er werde, so glaubte man, alle ökonomischen Schwächen beseitigen, eine Krankenversicherung für alle schaffen und den Krieg im Irak beenden. Insbesondere seine Leistungen bei der Erarbeitung einer allgemeinen Krankenversicherung sollen nicht geschmälert werden. Was er aber insgesamt erreichte, ist viel bescheidener als versprochen.

Die Arbeitslosigkeit ging leicht zurück, doch zweimal drohte der Staatsbankrott. Der Krieg im Irak ist so gut wie beendet, aber wie sich Obama aus der Verstrickung in Afghanistan lösen wird, ist nicht abzusehen. Während seiner ersten Amtszeit kam er den Republikanern immer weit entgegen, was diese keineswegs honorierten. Und vergeblich mühte er sich um eine überparteiliche Arbeit als Regierungschef, was ihm wiederum seine Wähler schon nach kurzer Zeit verübelten.

2008 verfügte er anfangs über die Majorität im Senat wie im Repräsentantenhaus. Mit dem Prestige des überlegenen Siegers hätte er gleich in den entscheidenden ersten hundert Tagen so ziemlich alles schaffen können, was er versprochen hatte. Stattdessen sah man einen Präsidenten, der um den Zuspruch der gegnerischen Seite buhlte: ein hoffnungsloses Unterfangen. Bei den Wahlen zum Repräsentantenhaus verlor er dort die Mehrheit, und die Republikaner kosteten ihre Überlegenheit mit einer Härte aus, wie man sie im politischen Alltag selten gesehen hatte.

Die Republikaner haben mit ihrem Extremismus, mit ihrer Umarmung der staatsfeindlichen „Tea Party“-Bewegung, mit ihrer unheiligen Allianz von Religion und Politik, mit ihrer ungehemmten Steuerbevorzugung der Superreichen zu wenig an die Mehrheit der Amerikaner gedacht. Die Mittelschicht wird immer ärmer, weil die Millionen von Arbeitsplätzen in der Industrie, die früher ihre Einkommensbasis waren, verschwunden sind. Das hemmungslose Outsourcing, die Verlagerung der Produktionsstätten in die Billiglohnländer Asiens, haben zu einer beängstigenden Entindustrialisierung geführt.

Das Geld wird in Entwicklungsbüros und im Handel verdient, und der Finanzsektor, dem mit der Industrie seine traditionellen Kunden verlorengegangen sind, wendet alle möglichen Tricks an, um das vorhandene Geld durch Scheingeschäfte zu verbrauchen. Wer seine Produktionsstätten ins Ausland verlagert, wird dafür seit Ronald Reagan auch noch steuermäßig belohnt. Obama versprach, eine Trendwende herbeizuführen. Im Ansatz ist ihm das in der Autoindustrie gelungen, die ohne staatliche Unterstützung wohl ebenfalls zusammengebrochen wäre. Die Arbeiter in Ohio, die in den Autofabriken arbeiten, haben es ihm gedankt: Wer Ohio gewinnt, wird meistens Präsident.

Facharbeiterjobs sind die wichtigsten Garanten nationalen Reichtums.

Bill Clintons Vision von Amerika als der Denkzentrale der Welt, die „einfache“ Arbeit in andere Länder verlagert, hat sich nicht bewährt. Denken kann man auch in anderen Staaten, und Facharbeiterjobs in der Produktion sind überall einer der wichtigsten Garanten nationalen Reichtums. Die Amerikaner müssen wieder selbst produzieren. Das ist auch das Ziel der Obama-Administration.

Die Republikaner haben auch zu wenig an die Frauen gedacht. Führende Parteimitglieder äußern sich über das weibliche Geschlecht, als hätten sie dessen Emanzipation nicht mitbekommen. Auch was Schwarze und Latinos betrifft, hängen sie Vorstellungen von einem Amerika an, das es längst nicht mehr gibt. Das Problem der Schwarzen sind die schlechten Schulen in den Armutsvierteln, die Inhaftierung großer Teile ihrer männlichen Jugend. Die legalen und illegalen Einwanderer aus Lateinamerika sind eine ehrgeizige und aufstrebende Minorität. Während sich die Republikaner mit antiquiert drakonischen Maßnahmen gegen ihre Immigration wehren wollen, gedenken die Demokraten, sie in die große multikulturelle US-Gesellschaft zu integrieren. Kein Wunder, dass die Latinos mehrheitlich für Obama gestimmt haben. Die Republikaner werden sich stark wandeln müssen, wenn sie noch einmal einen Kandidaten durchbekommen wollen. Der ökonomische Dilettantismus des Ronald Reagan, der Militarismus von Bush Jr., der Cheney-Imperialismus und Romneys Gerede vom Obama-Sozialismus „European style“ sind verbraucht.

Eine Herkulesarbeit steht Obama bevor. Das Repräsentantenhaus wird von Republikanern dominiert. Deren Sprecher will keine Steuererhöhungen. Die Millionäre und Milliardäre zahlen relativ aber viel weniger Steuern als die Angehörigen der Middle Class. Wir haben in Amerika inzwischen ein dysfunktionales politisches System, in dem die Elite sich nicht mehr zu gemeinsamen Werten bekennt. Die Republikaner sind eine Partei der Neinsager geworden, die ihre zweimalige Niederlage nicht verschmerzen kann. So ist das Land polarisiert wie zuletzt zur Zeit der Bürgerrechtsbewegung und des Vietnamkriegs. Ganz arm und superreich, Weiß und Schwarz, Unten und Oben, Menschen mit College-Bildung und ohne, Stadt und Land: Wo man hinschaut, sind die Fronten verhärtet.

Die USA müssen diese Fronten aber überwinden. Allein weitere Dürreperioden im Mittleren Westen, bisher die Kornkammer der Welt, weitere Sturmkatastrophen und Waldbrände können das Land in den Ruin führen. Kommen Kriege hinzu, wird aller Reichtum rasch verzehrt sein.

Vonnöten ist eine Bildungsrevolution. Die öffentlichen Schulen werden immer schlechter, und die guten Bildungseinrichtungen sind für den Durchschnitt der Bevölkerung nicht mehr zu bezahlen. Auch eine neue Energiepolitik sollte in einem Land, das alle Ressourcen dafür hat, möglich sein. Noch ist es reich genug, Reformen anzugehen. Obama kann man nur wünschen, dass er dafür nicht nur die Majorität der Bevölkerung, sondern auch die Mehrheiten im Kongress gewinnt.

Der Autor lehrt deutsche und vergleichende Literatur sowie Europastudien an der Washington University in St. Louis, Missouri.

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