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Zeichen setzen: Dena (Dakota Fanning), Josh (Jesse Eisenberg, links) und Harmon (Peter Sarsgaard) wollen einen Staudamm in die Luft sprengen.

© MFA

Öko-Thriller „Night Moves“: Die Nähe der Nacht

Die amerikanische Regisseurin Kelly Reichardt ist eine der wichtigsten Independent-Filmemacherinnen des Landes. In ihrem Ökoterrorismus-Film „Night Moves“ erkundet sie, was von den Idealen des einstigen Liberalismus übrig geblieben ist.

Es scheint eine Art Naturgesetz zu sein, dass mit dem Älterwerden bei vielen auch die Ideale verblassen. Irgendwann ist man Veteran der eigenen Jugendträume und schwelgt als Alt-Hippie in Erinnerungen an wilde Zeiten, nicht ohne eine Prise Selbstkritik. In Deutschland ist daraus eine nationale Übung geworden. Regelmäßig diskutiert die Nation über 68 ff. und setzt sich in diversen RAF-Debatten auch mit der militanten Seite der Studentenbewegung auseinander.

In Amerika ist das anders, obwohl es dort ähnliche Strömungen gab und gibt, von Bürgerrechtsbewegungen über mehr oder weniger radikale Umweltgruppen wie Earth First! bis zu Untergrundorganisationen wie den Weathermen. Gewalt gegen Sachen, Gewalt gegen Personen, weniger reden, mehr handeln – das waren auch in den USA die Knackpunkte des Liberalismus, erzählt Kelly Reichardt, etwa bei der Earth Liberation Front, die Pferde freiließen und Skihütten abfackelten. Die kleine, energische Independentregisseurin, Jahrgang 1964, ist zu Besuch in Berlin, sie stellt ihren neuen Film „Night Moves“ vor, es geht um Ökoterrorismus.

Seit 20 Jahren dreht Reichardt Filme über diese Fragen. Über die verlorenen Schlachten der Linken. Darüber, was bleibt von der Freundschaft, von Weltverbesserung, Menschlichkeit, sozialer Gerechtigkeit im heutigen Amerika. Mit 9/11 hat sich alles geändert, erklärt Reichardt. Seitdem wird auch friedlicher Protest vor lauter Terrorangst von einem hochnervösen Staat kriminalisiert, der fahndet, ahndet und drastische Gefängnisstrafen verhängt. Robert Redfords „The Company You Keep“ handelte kürzlich davon. Und „Night Moves“, der 2013 in Venedig Premiere feierte, heißt nicht zufällig so: Wer eine Aktion plant, sucht den Schutz der Nacht.

Reichardt, die Neorealistin

Sie sind zu dritt: Josh (Jesse Eisenberg), Dena (Dakota Fanning) und Harmon (Peter Sarsgaard) wollen ein Zeichen setzen und in Oregon einen Staudamm in die Luft jagen. Wegen der Ökobalance und der sterbenden Lachse. Sie kaufen ein Boot und Ammoniumnitratdünger, erkunden die Gegend, navigieren das Boot mit dem Sprengstoff nachts an den Damm, hören aus der Ferne die Detonation, gehen am Montag wieder zur Arbeit, als sei nichts geschehen. Erst die Nachricht, dass ein Camper am Stausee ums Leben kam, löst Panik bei ihnen aus.

Moral und Gewalt, Schuld und Sühne – die Tat setzt eine unaufhaltsame Psychodynamik in Gang. Im Mittelpunkt: der sanfte, scheue Josh, der auf einer Biofarm arbeitet. Beim Frühstück in der Genossenschaftsküche sagen die anderen nach der Meldung vom Anschlag: Ein Staudamm weniger, das bringt doch nichts. Josh schafft es kaum, weiter Kohl zu ernten.

Reichardt ist eine minimalistische Filmemacherin, eine Neorealistin. Sie lebt in New York, unterrichtet dort am Bard College, das macht sie unabhängig. Sie dreht Lowbudget, mit kleinem Cast, kleiner Crew, Laien und prominenten Schauspielern. Nach ihrem auf Festivals gefeierten Debüt „River of Glass“ von 1994 dauerte es über zehn Jahre mit ihrem zweiten Langfilm. Das Projekt, das sie zwischenzeitlich für Hollywood entwickelte, hätte ihr zu viele Kompromisse abverlangt, da drehte sie lieber Kurzfilme. Dass ihre drei weiteren Langfilme alle in Oregon entstanden, liegt schlicht daran, dass Jon Raymonds Short Stories dort angesiedelt sind, auf denen ihre Filme basieren. So fährt sie regelmäßig durch halb Amerika, von New York nach Portland, so wie sie früher als Kind mit ihren Eltern von ihrem Geburtsort Miami nach Montana verreiste. Auf langen Autofahrten sieht man gut, wie ein Land sich verändert, das hat sie sensibilisiert. „Wo sich einst große Wälder erstreckten, gibt es heute nur kahle Berge.“

Die Details des Anschlags

Kelly Reichardt interessiert sich nicht für die Action des Anschlags, sondern für die praktischen Verrichtungen. So ist sie nun mal. Wenn sie eine Autopanne hat, schaut sie liebend gern den Rest des Tags dem Kfz-Mechaniker zu. Und wenn sie drei Öko-Terroristen filmt, richtet sie das Augenmerk auf die akribischen Vor- und Nachbereitungen – wie im Juwelendieb-Klassiker „Rififi“. Reichardts Credo: Die Moral steckt im Mechanismus der Tat, die großen Dinge lauern in den unscheinbaren Momenten.

Also beobachtet die Kamera minutiös, wie Dena versucht, im Gartencenter große Mengen des hochexplosiven Düngers zu erwerben. Wie die drei den Sprengstoff mischen. Wie die Neurodermitis bei Dena zu blühen beginnt. Wie es im Alltag auf der Ökofarm zugeht und auf den Biomärkten. Da war dieser Bauernhof im Applegate Valley in South Oregon, sagt Reichardt, Koautor Raymond wollte dort schon immer mal eine Geschichte ansiedeln. Und dass sie Dostojewskis „Verbrechen und Strafe“ wieder gelesen hat.

Warum Kelly Reichardts Filme so oft in der Nacht spielen

Alle Filme von Kelly Reichardt sind Roadmovies: Der sanfte Josh (Jesse Eisenberg) arbeitet auf einem Bio-Bauernhof.
Alle Filme von Kelly Reichardt sind Roadmovies: Der sanfte Josh (Jesse Eisenberg) arbeitet auf einem Bio-Bauernhof.

© MFA/dpa

Stimmen in der Finsternis. Menschen nachts im fahrenden Auto, Schritte im Wald. Schemen und Schatten, spärlich beleuchtete Gesichter wie auf Rembrandt-Gemälden: Kelly Reichardt und ihr Kameramann Chris Blauvelt mögen die Dunkelheit, die Stille, die Langsamkeit. Danach befragt, reagiert sie wieder pragmatisch: „Herrscht auf der Welt nicht die Hälfte der Zeit Nacht?“ Spielen nicht genug Filme am Tag? Die Nacht sorgt für Intensität, für Intimität, man spitzt die Ohren und sieht genauer hin. Die Spannung ist höher, die Nähe, auch die Schönheit der Bilder, ihre traumwandlerische Sprödigkeit. Mit dem Kameramann wetteifert sie manchmal darum, wie dunkel ein Bild sein darf – zumal im digitalen Zeitalter, in dem ein Film auch auf kleinen Monitoren funktionieren muss.

So hat Kelly Reichardt es schon in „Old Joy“ von 2006 gehalten und in „Meek’s Cutoff“, ihrem Western von 2010. In „Old Joy“ verbringen zwei alte Freunde ein Wochenende an jenen heißen Quellen mitten im Wald, die sie in ihrer Hippiejugend so liebten, um zu sehen, was sie noch miteinander anfangen können: nicht viel. In „Meek’s Cutoff“ folgt Reichardt drei Planwagen auf dem Oregon Trail, die auf den Rat eines windigen Scouts eine Abkürzung nehmen und sich verirren. Pioniere im 19. Jahrhundert, die Tortur des Trecks, die Hölle der Wüste: Das Wasser wird knapp, die Frauen backen Brot in Erdmulden, es geht kaum vorwärts, die Nächte sind lang. „Meek’s Cutoff“ dürfte der unromantischste, dunkelste, wahrste Western in der Geschichte des Genres sein.

Reichardt interessiert sich für Figuren, die aufbrechen und vom Weg abkommen

Sie sind alle Verlorene. „I’m lost“, sagt Josh gegen Ende in „Night Moves“. In „Meek’s Cutoff“ hat einer das Wort in einen Baumstamm geritzt. Lost, verloren – ihr Lieblingswort? „Mich interessieren Menschen, die aufbrechen und vom Weg abkommen“, meint Reichardt. Allen großen Filmhelden geschieht das. Reichardts Filme sind Unterwegsfilme, Roadmovies, Suchbewegungen. Auch die so nüchterne wie bewegende Portland-Story „Wendy und Lucy“. Wendy, großartig gespielt von Michelle Williams (die auch in „Meek’s Cutoff“ dabei ist), strandet mit ihrem Hund Lucy in der größten Stadt Oregons, sie will nach Alaska, weil es dort Jobs gibt, ihr Auto geht kaputt, und Lucy läuft ihr auch noch davon. Eine Arbeits- und Obdachlose auf der Suche nach ihrem Hund, den sie am Ende findet, aber zurücklassen muss, es ist herzzerreißend. Und hochpolitisch, denn es geht um die Unmöglichkeit, in den USA ohne Geld klarzukommen. Der Film kam unmittelbar nach dem Finanzcrash 2008 in die Kinos; Kelly Reichardt hat nach „River of Grass“ selber lange ziemlich prekär gelebt.

Lucy ist ihr eigener Hund. Er ist jetzt alt, aber es geht ihm gut, versichert die Regisseurin. Und in ihren Filmen, wie viel Optimismus, wie viel Hoffnung leistet sie sich da? „Ich schließe mich Menschen für eine kurze Zeit an, die dann wieder ihres Weges gehen, das ist für mich Kino“, sagt sie. Die Freiheit ihrer Geschöpfe ist wichtiger als der Wunsch, den Zuschauer mit einem guten Gefühl nach Hause zu entlassen. Was bleibt von den Idealen des sanften Josh, nach seiner Zeit auf der Biofarm, nach dem Staudamm-Wochenende? Darüber lässt sich dann wunderbar streiten.

In Berlin in den Kinos fsk, Hackesche Höfe Kino, Pompeji, Rollberg, Tilsiter-Lichtspiele (alle OmU)

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