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Geschrei, das heute noch nachklingt. Der Heldenplatz in Wien, 1988 skandalisiert durch Thomas Bernhard. Foto: AFP

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Österreich-Roman: Auf die Plätze, Helden, los!

Kurt Waldheim und die Folgen, Wiener Präsidentenschmarrn und Welttheater: Robert Schindel erkundet in seinem Roman „Der Kalte“ die österreichische Seele.

Man kann nicht behaupten, dass sich Thomas Bernhard jemals in großer Zurückhaltung geübt hätte, wenn es um seine Landsleute ging. Österreich, heißt es in seinem Skandalstück „Heldenplatz“, sei eine „geist- und kulturlose Kloake“. Eh, wenn die Österreicher über Österreich nachdenken, dann ist das immer großes Burgtheater. Meistens zumindest.

Nun ist nach dem 1992 veröffentlichten „Gebürtig“ der schon nicht mehr sehr intensiv erwartete zweite Roman des Lyrikers Robert Schindel erschienen, der dem Vernehmen nach Teil einer Österreich-Trilogie mit dem Titel „Die Vorläufigen“ sein soll und ein Gesellschaftspanorama der Kurt-Waldheim-Jahre entwirft; ein episodisches Mammutwerk wie es einst Doderer mit den „Dämonen“ für die zwanziger Jahre geschaffen hat. Auch Thomas Bernhard kommt darin unter Decknamen vor. Fast 700 Seiten ist Schindels Erkundung der österreichischen Seele dick, die Personalstärke kann es gut mit der eines russischen Romans aufnehmen. „Der Kalte“ möchte Welttheater sein. Leider ist’s bei Robert Schindel dann doch nur ein Wiener Präsidentenschmarrn mit allzu süßem Zwetschgenröster geworden.

1985 setzt die Geschichte ein, an die man sich selbst als Piefke noch ziemlich gut erinnert. Ein neuer Bundespräsident wird gewählt, der gewisse Demenz-Attacken hat, wenn es um seine SA-Vergangenheit im Dritten Reich geht. Im Roman heißt er Johann Wais, im echten Leben natürlich Kurt Waldheim. Zur selben Zeit toben Kulturkämpfe um das Antifaschismus-Denkmal eines cholerischen, flott saufenden Bildhauers, der bei Schindel den Namen Krieglach abkriegt und niemand anderer ist als Alfred Hrdlicka. An der Burg versucht Intendant Claus Peymann alias Dietger Schönn mit den Mitteln des Theaters Österreich so richtig aufzumischen – vor allem mit einem Auftrags-Stück des Schriftstellers Raimund Muthesius, genau, im richtigen Leben, Thomas Bernhard. Der Tumult um „Heldenplatz“ aus dem „Bedenkjahr“ 1988 liegt zwar schon ein Vierteljahrhundert zurück, aber das Geschrei war damals so laut, dass es heute noch in den Ohren nachklingt. Das aber sind nur die äußeren Gegebenheiten, die Robert Schindel dankbar aufgreift, um gewisse Befindlichkeiten der Volksseele offenzulegen. In den Waldheim-Jahren tobte eine verbissen geführte und überfällig gewesene Schlacht um Verdrängung und Aufarbeitung der eigenen Geschichte – es schien dabei um alles zu gehen, mindestens aber um politische Hegemonie und die Überwindung der Vergangenheitsvergessenheit.

Robert Schindel schreibt mit intimer Kenntnis von den Verwicklungen und Skandalen, vom Kaffeehaus-Gemurmel und Hinterzimmer-Gemauschel, von Infamien und Intrigen. Die über- und unterirdischen Kommunikationskanäle sind hier alle wild durcheinander verlegt. Komplex ist dieses System, in dem die Wichtigen und Wichtigtuer ihre gefeierten Auftritte und schmachvollen Abgänge haben. Schindel versucht, diese Komplexität in vielen kleinen Szenen nachzuformen, er erzählt in lauter Seitensträngen, die sich zu einem dicken Knäuel verdichten sollen. Leider verlaufen einige im Sand. Die heimliche Hauptfigur ist der titelgebende „Kalte“ – Edmund Fraul, ein Auschwitzüberlebender, der vor allem das ist und als Gerechtigkeitsapostel innerlich wie erfroren wirkt. Er habe sein Herz im Lager gelassen, heißt es einmal über ihn.

Die Auseinandersetzungen mit seinem Sohn Karel, der am Burgtheater als Schauspieler reüssiert, zeigen nicht nur die Spannungen innerhalb der Familie, sondern auch die Spaltung innerhalb einer Gesellschaft, die sich liebend gerne an eine alte Operettenweisheit hält: „Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist.“ Edmund Frauls Verbitterung über diese Zustände bricht seltsamerweise in dem Moment ein wenig auf, als er sich mit einem Generationsgenossen trifft, einem ehemaligen KZ-Wärter. Die beiden erzählen sich – aus ihren jeweiligen Perspektiven – ihre Auschwitzerinnerungen. Eine Konfrontationstherapie.

Bei Schindel geht es handfest, manchmal gnadenlos zu. Journalisten der einschlägigen Zeitungen mischen im Politpoker kräftig mit; im Hintergrund spinnen die Berater der politischen Platzhirsche ihre Fäden, und am Ende kommt keiner sonderlich gut weg. Nicht nur Edmund Fraul verströmt Kälte um sich. Fast auf alle Protagonisten trifft das zu. Das muss ein besonders gutes Klima für einen kommenden Star der österreichischen Politik gewesen sein: Jupp Toplitzer alias Jörg Haider lugt bei Schindel eher mal kurz ins Buch hinein; aber ihm werden die neunziger Jahre gehören, zumindest wird er sich skrupellos aller vorstellbarer populistischer Mittel bedienen. Die achtziger Jahre erscheinen gegen diese Chuzpe nachgerade gewissenhaft.

Es kracht in diesem Schlüssel- und Zeitroman an zu vielen Stellen

Das alles hört sich nach einem großen Rundumschlag und einem gewaltigen Wurf an. Doch ist es das leider nicht geworden. Robert Schindels Schlüssel- und Zeitroman krankt an zu vielen Stellen. Selbst wer in österreichischer Gesellschaftskunde nicht so bewandert ist, kann die Figuren leicht dechiffrieren. Was eben auch daran liegt, dass Schindel keinem Klischee aus dem Weg geht. Seine fiktiven, mehr noch die fiktionalisierten realen Helden stehen wie Pappkameraden in diesem Roman herum, ihnen werden jeweils gewisse Standorte in diesem Gesellschaftsstück zugewiesen. Von der Stelle aber vermögen sie sich nicht zu rühren, sollen sie auch nicht. Die ins personale Erzählen immer mal wieder eingestreute Ich-Perspektive, die reihum fast jede der Figuren mal einnehmen darf, verlangt dem Leser einigen Gleichmut ab.

Foto: Wikipedia/M. Werner/Tsui
Foto: Wikipedia/M. Werner/Tsui

© Manfred Werner

Nicht nur, dass man nicht recht versteht, warum man immer wieder unvermittelt in die Protagonisten hineinhören soll. Auch was sie sich jeweils denken, hätte uns jeder Beobachter genauso gut verraten können, wenn auch nicht so verschwurbelt: „Obwohl ich mich im Mittelpunkt eines Einsamkeitsquaders befand, wollten sich Tränen nicht einstellen.“ Der Wechsel in der Perspektive erzeugt weitere Brüche in diesem ohnehin durch die Vielzahl der Roman-Marionetten und kurzen Kapitel schon sehr zerstückelten Werk. Sprachlich geht es manchmal zu wie auf dem steinigen Pflaster Wiens: ein wenig holprig. Da lässt jemand seine Gedankenströme in sich hinabrieseln, um sie dann wieder heraufzupumpen, die Lauheit der Luft wird intensiv, und die Lippen werden wie eh und je geschürzt. Die vielen Austriazismen immerhin sind schön, allerdings zuweilen etwas plump des Lokalkolorits wegen eingesetzt. Das lange Glossar am Ende des Buches ersetzt dafür manches historische Dialektwörterbuch. Das kann diesen zwar interessanten, aber arg unter der Last seines Anspruchs leidenden Österreich-Roman auch nicht mehr sonderlich retten.

Ein Alter Ego von Robert Schindel taucht in dem Buch übrigens auch auf. Paul Hirschfeld heißt es. Von seinem Verlag wird der bekannte Lyriker immerzu gedrängt, doch endlich einen Roman zu schreiben. Man ahnt nach Lektüre des „Kalten“, was herauskommt, wenn Paul Hirschfeld seinem Verleger nachgibt.

Robert Schindel: Der Kalte. Roman. Suhrkamp Verlag Berlin 2013. 661 Seiten. 24,95 €.

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