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Kultur: Oi! Oi! Eurasien!

Ein Skandal in Moskaus Kunstszene zeigt Russlands geistige Zerrissenheit

Ist es ein Skandal – oder wieder mal nur ein Skandälchen, wie sie die russische Kunstszene mit verlässlicher Regelmäßigkeit aufwühlen? Genau eine Woche ist es her, dass in Moskau der renommierte Kandinsky-Preis an den umstrittenen Maler und Politaktivisten Alexej Beljajew-Gintowt verliehen wurde. Seitdem wird nicht nur in Moskau erregt über den Fall diskutiert. Weil den mit 40 000 Euro dotierten Preis neben der russischen Kunstzeitschrift „ArtChronika“ auch die Deutsche Bank fördert, witterten hiesige Medien offenbar einen Vorfall von besonderer Pikanterie.

Was aber war eigentlich passiert? Beljajew-Gintowts Bilder spielen, wie viele Werke zeitgenössischer russischer Künstler, mit Versatzstücken totalitärer Ästhetik. Muskelmänner mit kahlen Köpfen marschieren da über den Roten Platz, slawische Mutterfiguren posieren mit Kalaschnikows. Nun ist derlei zwar auch im Westen nicht unerhört – man denke an Norbert Biskys Sozialismusidyllen oder die faschistische Selbstinszenierung von Bands wie Rammstein und Laibach. Doch während das ironische Spiel mit sanktionierten Ideologien hierzulande erlaubt, erwünscht, erfolgreich ist, reagiert der Westen regelmäßig befremdet, wenn Ähnliches in Ländern praktiziert wird, denen man ein weniger abgeklärtes Verhältnis zu nämlichen Ideologien nachsagt.

Zu diesem stets abrufbaren Erregungspotenzial gesellt sich im Falle Beljajew-Gintowt sein erwiesenermaßen fragwürdiges politisches Engagement: Der 43-Jährige leitet den „Eurasischen Jugendbund“, die Nachwuchsorganisation des ultranationalistischen Bündnisses „Eurasische Partei“. Dessen geistiger Führer Alexander Dugin werkelt seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion an einem Gedankengebäude von gleichermaßen radikaler wie konfuser Natur: Die russische Hauptstadt sähe Dugin gerne nach Nowosibirsk verlegt, um von dort aus ein neues Imperium blutreinen Russentums zu begründen.

Auch Beljajew-Gintowt brachte seinen „Jugendbund“ in der Vergangenheit immer wieder mit kruden geopolitischen Machtfantasien ins Gerede – und stellte seine Kunst so unter Propagandaverdacht. Schon bei der Verleihung des Kandinsky-Preises reagierte daher die überwiegend liberal gesinnte Moskauer Kunstszene empört: „Schande!“, skandierte etwa der Vorjahrespreisträger Anatolij Osmolowskij, andere Gäste reagierten mit Pfiffen. Im allgemeinen Tumult wollten dann auch noch einzelne gehört haben, wie Friedhelm Hütte, Jurymitglied der Deutschen Bank, gefragt habe, was denn an Patriotismus so schlimm sei – was Hütte allerdings bestreitet. Gleichwohl versuchte die um Schadensbegrenzung bemühte Deutsche Bank wenig später, ihr Engagement zu relativieren: Die Auszeichnung, erklärte ein Sprecher, würdige nur Einzelarbeiten, nicht die Person oder das Gesamtwerk eines Künstlers. Hütte ließ zudem mitteilen, er halte sein Jury-Votum für Beljajew-Gintowt im Nachhinein für „unangemessen“.

Symptomatisch steht der Zwist um den Kandinsky-Preis für Russlands geistige Zerrissenheit seit dem Wegfall sowjetischer Ideologien: Während die Parteienlandschaft innerhalb der gesellschaftlichen Mitte heute weitgehend eingeebnet und von ideologiefernen Pragmatikern dominiert ist, wütet an den politischen Rändern ein Wust geduldeter Klein- und Kleinstbündnisse, deren links- wie rechtsradikaler Furor in den meisten westeuropäischen Demokratien schnell den Ruf nach Sanktionen laut werden ließe.

Nicht selten mischen in solchen Sammelbecken entwurzelter Intellektueller auch Künstler mit: Beljajew-Gintowts Engagement für die „Eurasier“ ähnelt frappierend den ideologischen Abwegen, auf denen seit Jahren auch der einst im Westen als Sowjet-Dissident gefeierte Schriftsteller Eduard Limonow wandelt. Dessen Anhänger nennen sich „Nationalbolschewiken“ und fröhnen mit linksextremen Blut-und-Boden-Slogans einer verqueren Revolutionsesoterik. Ein russischer Kunstkritiker bezeichnete sie einmal als „die radikalste Performance-Kunst, die Russland derzeit zu bieten hat“. Ein Signet, das auch auf Beljajew-Gintowts „Eurasier“ gemünzt sein könnte.

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