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Kultur: "Oi Warning": Mit Haut und ohne Haar

Haut ist das visuelle Leitmotiv dieses Films: nackte, glänzende, männliche Haut über schwellenden Muskelbergen, in die Schmucknarben geschnitten und Löcher gestanzt sind. Rasierte, unregelmäßige, mehr oder weniger straff über Schädel gespannte Haut; verdreckte, pickelige, großporige Haut; schließlich zerfetzte, geschundene, blutige Haut.

Haut ist das visuelle Leitmotiv dieses Films: nackte, glänzende, männliche Haut über schwellenden Muskelbergen, in die Schmucknarben geschnitten und Löcher gestanzt sind. Rasierte, unregelmäßige, mehr oder weniger straff über Schädel gespannte Haut; verdreckte, pickelige, großporige Haut; schließlich zerfetzte, geschundene, blutige Haut. Und wenn gleich zu Anfang anonyme Körperteile im Takt stampfender Rhythmen tätowiert werden und alsbald ein nackter Muskelmann, von mildem Sonnenlicht beschienen, im Wald posiert, dann ist in diesen Bildern bereits ein Leitmotiv angesprochen: Der Film "Oi Warning" huldigt einer bestimmten Form des Körperkults, auch wenn seine Regisseure vorgeblich etwas ganz anderes wollen.

Zum Beispiel erzählen sie die Geschichte einer kleinen Flucht, deren Protagonist der 17-jährige Janosch ist. Man hat ihn von der Schule geworfen in dem Kaff am Bodensee, wo er mit seiner Mutter lebt. Ihm ist das Grund genug, sich aufs Moped zu setzen und endlich abzuhauen - in die Großstadt im Ruhrgebiet, zu seinem alten Kumpel namens Koma: Der verdient sein Geld als Brauereiarbeiter und lebt mit schwangerer Freundin in der eigenen Wohnung. Wenn er nicht gerade Getränkekisten verlädt, trainiert Koma am Punchingball oder trifft sich mit seinen Freunden, Skinheads wie er selbst, um Bier zu trinken und Musik zu hören und zu tanzen.

Nur die Eingeweihten haben Zugang zu dem geheimen Treffpunkt in einem verlassenen Steinbruch. Für Janosch ist das aufregend neu, und er setzt alles daran, um mit - tätowierter - Haut und ohne Haar dazu zu gehören. Als Komas Freundin Zwillinge zur Welt bringt, die Tag und Nacht brüllen, wird es jedoch eng in der Wohnung. Janosch zieht aus; und weil ihm der feuerschluckende und -spuckende Punk Zottel, den er zufällig getroffen hat, gut gefällt, beschließt er, bei ihm in die Lehre zu gehen. Das Unternehmen nimmt ein böses Ende, denn Koma verlangt bedingungslose Loyalität.

"Oi! Warning" ist, auf seine Weise, ein typischer coming of age-Film. Im Sozialfeld jugendlicher Subkultur erzählt er von der Notwendigkeit, erwachsen werden zu müssen. Die Regisseure und Produzenten ihres eigenen Films, Dominik und Benjamin Reding, stellen die Skinszene mit ihren Ritualen, Präsentationsformen und Treffpunkten dar, ohne zu werten, so dass ihr grobkörniger Schwarzweißfilm gelegentlich einen dokumentarischen Gestus hat. Diese genauen, geduldigen Beobachtungen der Jungen stehen allerdings im krassen Gegensatz zur Visualisierung der Erwachsenen-Welt: Verkantete Kamera, Untersichten und Froschperspektiven verzerren Lehrer und Eltern zu teils sardonischen, teils debilen Schikaneuren, die noch dazu mit sämtlichen denkbaren Spießbürger-Accessoires umgeben werden: Abbildungen röhrender Hirsche und glubschäugiger Südländerinnen, Kissen, Deckchen, Nippesfiguren.

Janoschs Mutter etwa: Sie soll wie ein penetrante, dämliche Ziege wirken, wenn sie in breitestem Schwäbisch ihrem "Joschi" am Telefon nachjammert. Oder die Lehrer: Sie verteilen vorzugsweise Kopfnüsse. Oder ein Passant und späteres Opfer der Skins: Er ist nicht einfach ein nervender Schwätzer, sondern dessen bösärtige Karikatur.

Vielleicht kein Wunder, dass die Identitätssuche, von der "Oi! Warning" berichten will, letztlich erfolglos bleibt. Denn der Weg vom mütterlichen Eigenheim bis in Komas und Sandras adrette Zwei-Zimmer-Wohnung ist nicht wirklich weit: In einer hübschen Ankleide-Szene sieht man Komas auf Kante gestapelte T-Shirts und Hosen im Schrank liegen - ein Ordnungsfanatiker ist hier am Werk, dem jeder Makel auf der Oberfläche Angst macht. Sein martialisches Äußeres dient zudem weniger der Abschreckung denn als Erkennungsmerkmal für Gleichgesinnte. Sein Brüllen ist ein ängstliches Pfeifen in der Dunkelheit; einmal sagt er: "Die anderen wollen dich kaputt machen, du musst dich wehren."

Koma scheint so vor Abwehr zu bersten, dass selbst seine Zärtlichkeiten gewalttätig aussehen. In Joschi findet er einen Bewunderer, einen Lehrling auch, den einzigen irgendwie nahen Menschen, den er in seinem Leben hat (Frauen zählen für ihn ohnehin nicht). Auch Koma also sucht: Wobei der Film keinerlei Zweifel daran lässt, wie furchtbar die Auswirkungen dieser Identitätssuche geraten, sobald die Skinheads ihr Nest verlassen. In der Rekonstruktion dieser zutiefst kleinbürgerlichen Skinhead-Welt liegt die Stärke des Films. Die Redings beschränken sich aufs nüchterne Beobachten und Konstatieren; sie überlassen es ihrem Publikum, Schlüsse zu ziehen.

Erst mit dem Punk Zottel, der tatsächlich außerhalb der Gesellschaft lebt, kommt ein sentimentaler Ton in den Film: Zottel mag ein schmutziger Außenseiter sein, aber er ist ein Sanfter, Kreativer, ja, ein Dichter, mit dem Janosch schließlich sogar eine Liebesnacht verbringt. Nur - warum die plötzliche Nähe? Weil Zottel so schön jonglieren kann, während die Skins aufeinander einhauen, wie eine der vielen Parallelmontage-Szenen zeigt? Weil die latente Kameradschafts-Erotik ein Ventil braucht und hier ein zwar auch vielfach perforierter, aber wenigstens warmer Körper ist? Die sorgfältig gestylten Muskelstränge der Skins wirken trotz der auf immensen Bierkonsum folgenden Schweißausbrüche marmorn und kalt.

Gerade hier, in der Inszenierung all dieser Männerkörper, liegt das Problem des Films: Sein ästhetisches Konzept - Weichzeichner, Zeitlupen, choreografierte Bewegungen, Groß- und Detailaufnahmen einzelner Körperregionen, das stark körperbetonte Spiel aller Darsteller - zelebriert in erster, vielleicht sogar fast in einziger Linie die perfekte, durchtrainierte männliche Physis. Die Skinhead-Existenz - ein reines Oberflächenphänomen?

"Oi! Warning" ist auf vielen Festivals gezeigt worden, bis er mit der Potsdamer Firma Nighthawks Pictures nun endlich einen Verleih fand. Dessen Chef Christoph Heckenbücker sieht in Joschi, der seinen Freund und Geliebten verrät, einen Repräsentanten der schweigenden Mehrheit, die zusieht, wenn in Brandenburg und anderswo Menschen mit dunkler Hautfarbe von Skinheads verprügelt werden. Deshalb wird "Oi! Warning" auch in Schulen zu sehen sein.

In Berlin im Broadway[Cinemaxx Colosseum], Central[Cinemaxx Colosseum]

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