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Olafur Eliasson: Wenn Gletscher weinen

Weltkünstler, Erfinder, Magier: Olafur Eliasson durchdringt alle Sphären. Wer dem dänischen Künstler einen Auftrag erteilt, erwartet Wunder, zumindest ein allgemeines Erstaunen.

Der Mann ist ein Phänomen, womöglich selbst ein Naturereignis. Gerade hat er noch den Festvortrag zur Gründung der Gesellschaft der Neuroästheten in der Berliner Charité gehalten, da übergibt er auch schon in der Münchner Pinakothek der Moderne seinen tiefgefrorenen Artcar von BMW der Museumsöffentlichkeit. Während er zuvor noch in Berlin eloquent für ein Einreißen der Grenzen zwischen Neurowissenschaft und Kunst plädierte, stößt der Medienzauberer in München in eine neue Dimension vor.

Höchstgeschwindigkeit und Rasen, das war gestern. Olafur Eliassons Kunstauto verharrt eisgekühlt in einer begehbaren Kammer mit einer permanenten Temperatur von minus 10 Grad und animiert zu geistiger Beweglichkeit. Mit den einst von Andy Warhol, David Hockney und Roy Lichtenstein bemalten Flitzern konnte man noch fahren, da sie die Karosserie letztlich nur als modifizierte Leinwand ansahen. Nein, für einen Olafur Eliasson wäre das zu profan.

Wer dem dänischen Künstler einen Auftrag erteilt, erwartet Wunder, zumindest ein allgemeines Erstaunen. Das haben die bayerischen Automobilisten dann auch bekommen. Das Fahrgestell ihres Boliden ist nicht mehr von einer Metallhaut bedeckt, sondern von einer Schicht aus Eis, die sich in einem rombenförmigen Muster über das Chassis legt. Ziemlich frech, denn Eliasson hat den ganzen Stolz der Kfz-Ingenieure in seine Einzelteile zerlegt. Ihr mit Wasserstoff betriebener H2R-Wagen ist in einen neuen Aggregatzustand versetzt – und das ausgerechnet mit Hilfe jener chemischen Substanz, die ansonsten seinen Treibstoff bildet.

Ganz offensichtlich haben beim Artcar-Projekt zwei Kräfte miteinander gekämpft. Hier die Kunst, dort das Industrieprodukt. Einen Sieger nach Punkten gibt es nicht. Fest steht jedoch: Die Marke Olafur Eliasson ist im internationalen Kunstranking wieder ein paar Punkte gestiegen. 2008, das ist das Jahr des Skandinaviers, der in Berlin gleich neben dem Hamburger Bahnhof in einer ehemaligen Lagerhalle sein Atelier unterhält, mit einem 30-köpfigen Stab aus Architekten, Statikern, Ingenieuren sowie zwei eigenen Köchen. Von hier aus beschickt Eliasson alle Welt mit seinen auf den ersten Blick so simplen und technisch doch komplizierten Installationen. Hier wurde der Artcar wochenlang mit Wasser eingesprüht, um den optimalen Gefrierpunkt zu finden. Hier werden die Parabolspiegel konstruiert, in denen sich das Licht zauberisch bricht. Und von hier aus wurde seine große Retrospektive im Museum of Modern Art beschickt, in die jetzt die New Yorker pilgern.

In Berlin beginnt auch die Erfolgsgeschichte des 41-Jährigen. Vor zehn Jahren nahm er an der ersten Berlin-Biennale teil und schenkte ihr das wohl symbolträchtigste Werk: einen Ventilator, der – an einem langen Kabel hängend – durch die Kuppel des Postfuhramts hin- und herschwirrt. Gegenwärtig ist die mobile Skulptur im neuen Berliner Kunstbunker von Christian Boros zu sehen, wo sie gefährlich über den Häuptern der Besucher rotiert. Der Ventilator fasst die wichtigsten Bestandteile von Eliassons Kunst zusammen: Natur und Technik werden vereint, physikalische Vorgänge poetisch überhöht. Damit trifft er den Nerv unserer Zeit und gehört zu den begehrtesten Künstlern weltweit. An der Berliner Staatsoper schuf er das Bühnenbild für Hans Werner Henzes „Phaedra“.

Sein „Weather Project“ vor fünf Jahren in der Turbinenhalle der Tate Modern in London machte ihn schlagartig zum internationalen Star. Über zwei Millionen Menschen besuchten die gewaltige Installation, viele kehrten immer wieder fasziniert zurück. Unter die meterhohe Decke der Backsteinhalle hatte Eliasson eine aus Leuchtstoffröhren bestehende Sonne gehängt, die Schattenbilder der Besucher auf den Boden projizierte. Das Publikum war fasziniert von dem re-inszenierten Naturschauspiel, dessen technische Machart der Künstler jedoch nicht wie einen Zaubertrick verbarg, sondern wie in einer Versuchsanordnung offenlegte. Unvergessen auch die tonnenschweren, langsam schmelzenden Eisblöcke, die der Künstler vor zwei Jahren aus dem isländischen Gletscher Vatnajökull in den Ausstellungsraum seiner Berliner Galerie Neugerriemschneider transportieren ließ. Eliasson vermittelt dem Betrachter seiner Werke starke Eindrücke, regelrechte Erlebnisse und will ihn doch zugleich aufklären. Zweifellos schlägt in seiner Brust auch das Herz eines Romantikers, der an die Läuterung des Menschen durch die Kunsterfahrung glaubt.

Gleichzeitig ist er Realist. Wer am East River in New York vier 30 bis 40 Meter hohe Wasserfälle bauen will, der muss es sein. Ab Mitte Juli findet das vom Public Art Fund mit 15 Millionen Dollar finanzierte Kunstprojekt in Manhattan statt. Schon jetzt verspricht die Economic Development Corporation von New York, dass dieses Ereignis 55 Millionen Dollar in die Stadt bringen wird. Die Nähe zu Christos Verhüllungsprojekten ist offensichtlich, zumal dessen jüngste Aktion „The Gates“ im Central Park stattfand.

Schon werden erste Stimmen laut, dass sich Eliasson dem Spektakel verschrieben habe. Auch die Zusammenarbeit mit BMW oder der Designermarke Louis Vuitton, für die er 350 Geschäfte von Tokio bis Los Angeles mit einer überdimensionalen Pupille dekorierte, wird kritisiert. Doch der Künstler begibt sich offensiv auf diese Abwege fern vom klassischen Ausstellungsbetrieb. Er glaubt fest an das „demokratische Potenzial“ seiner Kunst, das Gemeinschaft stiftende Erlebnis, das doch die Individualität des Einzelnen respektiert. Zugleich sucht er die Reibung mit der wirklichen Welt, wie er es nennt. In seinem universalen Gestus erinnert dies an das Verständnis eines Renaissance-Künstlers, der alle Lebenssphären durchdringen will. Mag sein, dass genau darin das Erfolgsgeheimnis von Eliasson steckt. Wo im Zeichen zunehmender Virtualität das gefühlte Leben immer mehr zurückweicht, gibt das Versetzen des Alltags mit Kunsterlebnissen, die Rückbesinnung auf die Kraft einer Naturerfahrung den Menschen ein Selbstgefühl zurück.

Eliasson betreibt eine Verkunstung der Welt. Umgekehrt droht ihm die Verweltlichung seiner Kunst.

„Take your time“, Museum of Modern Art und PS1, New York, bis 30. 6.; „Your mobile expectations: BMW H2R project“, Pinakothek der Moderne, München, bis 3. 8.; „the inside of the outside“, Galerie neugerriemschneider, Linienstr. 155, bis 21. 6.; „Studio Olafur Eliasson. Eine Enzyklopädie“, Taschen Verlag, Köln 2008, 528 S., 100 €.

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