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Open Mike-Literaturwettbewerb: Mit den Waffen der Gazelle

Es wird gesegelt, gekentert, getrunken, getrauert, getrennt, geküsst. In Mexiko, Cincinnati, New York, China, Wien, Hamburg. Und es geht um Erdbeeren, Lackschuhe, Handys, Hippies, Suizid und Familien. An Ideen und Reiselust fehlte es den Teilnehmern des diesjährigen „Open Mike“ nicht.

Es fehlt ihnen auch nicht an Nervosität. „Ich ernähre mich seit zwei Wochen von Baldrian“, murmelte eine junge Autorin. „Ich lag die halbe Nacht wach“, eine andere. 21 Autoren hatten es in die Endrunde des 17. Literatur-Nachwuchswettbewerbs geschafft und durften ihren Text im Kulturzentrum Wabe in Prenzlauer Berg vorlesen.

Am Ende der zweitägigen Veranstaltung der Berliner Literaturwerkstatt kürten die drei Juroren drei Gewinner. Die Sieger erhalten traditionell Preisgelder in einer Gesamthöhe von 7500 Euro - neben der Aufmerksamkeit zahlreich anwesender Literaturagenten und Verleger. Nun applaudierte das Publikum, die Lektoren ereiferten sich über das „Meer an Möglichkeiten“, in das die Schriftsteller getaucht wären, und die Juroren sprachen von der „Welthaftigkeit“, die sie in ihren Prosa- und Lyrikstücken an den Tag lägen. Nur die Selbstverliebtheit vieler vorgetragener Texte, die erwähnte niemand. Woran es einigen Teilnehmern fehlte, war Bescheidenheit.

Ein starkes „Ich“ dominierte die Erzählperspektiven der Geschichten, erdrückte die wenigen Texte, die von „ihm und ihr“ handelten. Aufgetrumpft wurde mit einer gehörigen Portion Klischees: „Die Sonne war bereits weitergewandert und tauchte die gesamte Umgebung in ein kräftiges rotes Licht.“ Oder unglaubwürdiger Übertreibung: „Capek war mit einer bisexuellen Ägyptologin verheiratet, die Schlangen züchtete und eine Vorliebe für kleine Rucksäcke in Sargform mit verkehrtem Kreuz hatte.“ Statt einen nassforschen Ton anzuschlagen, verloren sich etliche Autoren lieber in altklugen Floskeln und Schachtelsätzen. Statt direkt auf den Punkt zu kommen, ließen sie sich zu ausufernden Personen- oder Landschaftsbeschreibungen hinreißen.

Beste Voraussetzungen für die paar Schreibwütigen, die auf Schlichtheit und Offenheit setzten. Und Offenheit nicht mit Obszönität verwechselten. An Inger-Maria Mahlke beispielsweise wollte man sich festklammern wie an einem Rettungsring. Wie zurückhaltend die zierliche Lübeckerin vortrug, wie behutsam sie das Innenleben ihres Protagonisten schildert, der seine Ängste in Alkohol ertränkt. Ihre „Stilsicherheit“ wurde mit einem Prosapreis belohnt. Matthias Senkel erhielt den zweiten, und zwar für einen Familienstammbaum, dessen Verästelungen er auf sieben Seiten presste. So nichtssagend der Titel auch sein mag, den der 31-jährige Autor aus Thüringen seiner Kurzgeschichte gab („Peng. Peng. Peng. Peng.“), seine Erzählung überrascht mit Selbstironie und Situationskomik. „Bettina Leudoldts Schwangerschaft erwies sich als Finte“, heißt es da. „Ihr erstes Kind, Rotraut Gründel, kam erst 599 Tage nach der überstürzten Hochzeit zur Welt“. Mahlke und Senkel, die beiden vielversprechendsten Talente dieses Open Mike, fielen durch einfache Dialoge und klare Strukturen auf. Nur eine literarische Entdeckung blieb unentdeckt. Anne Krüger, die bereits 2003 ihr Glück bei dem Wettbewerb versuchte, ging erneut leer aus. Dabei brachte die Berlinerin mit ihren erfrischenden Gedichten eine Menge Schwung in die so strikt geregelte Veranstaltung. Ein Hauch von Poetry-Slam wehte durch den Saal, als sie mit der Hand den Takt anschlug, im Rhythmus nickte und ihre Strophen im Stakkato leierte: „ich bin die artifizielle gazelle, bin die ganz schnelle, super in eile, bewaffnet mit einer nagelfeile und immer perfekt geschminkt.“

Mit dem Lyrikpreis wurde jedoch ein Philosoph aus dem Saarland ausgezeichnet, Konstantin Ames. Generell will man die Experimentierfreudigkeit junger Dichter auch unterstützen. Nur wenn sie in Absurdität ausartet, dann nicht mehr. Ein Auszug: „Eifernes Rreuz I. Rlajje und sonsje Tattoos/Oberleutn/Mar Pimilianmmel gest. morden/auf zwei Rädern Todt angefressen“. Möglich, dass sowohl dem Poeten als auch der Jury das Kopf schüttelnde Publikum entgangen ist. Das Kichern aber war nicht zu überhören. 

Annabelle Seubert

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