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Oper: Desdemona, dein schwarzes Haar

Deutsche Oper Berlin: Andreas Kriegenburg inszeniert „Otello“ – und Anja Harteros ist ein Ereignis. Die Callas, die Freni - lange hat keine so gut gesungen.

Ganz Deutschland im SchneewittchenFieber? Vielleicht hat man einfach zu viel Lena geguckt, Lena gelesen, Lena getickert und getwittert – und sieht jetzt überall nur noch junge, langmähnige, schwarzhaarige Frauen, die die Welt bedeuten. Der Euro am Abgrund, Ölpest im Golf von Mexiko, Löws Lazarett? Was ist das alles gegen zweieinhalb Minuten sirenische Seligkeit und 12 Punkte aus Estland und der Schweiz! Die alte aristotelische Formel Furcht-Mitleid-Katharsis, sie scheint sich in Krisenzeiten regelrecht umzukehren: Erst kommt die Reinigung, die Erlösung von allem Übel, dann das Leiden – und irgendwann werden wir uns vor der bösen Wirklichkeit sicher auch wieder fürchten.

Anja Harteros stammt zwar nicht aus Hannover, sondern aus Bergneustadt kurz vor Köln, eine schwarze Mähne aber hat sie auch – und im Gegensatz zu Lena- Leni eine Weltstimme. Die 37-jährige Deutsch-Griechin ist die stille Königin in dieser ansonsten eher lauten „Otello“Premiere an der Deutschen Oper: Sie lohnt alle inszenatorischen Flickschustereien, macht selbst die musikalischen Schludrigkeiten, die sich ihre Partner leisten zu können glauben (José Cura als Otello, Zeljko Lucic als Jago), im Nu wieder vergessen.

Harteros mag sich mit Mozart-Partien und Händel, als Wagners Evchen und Elsa bis an die New Yorker Met gesungen haben – selten dürfte sie so gut gewesen sein, so eins mit sich und ihrem herbschönen, liebesblühenden Sopran wie an diesem Abend in Berlin, als Desdemona. Und die winzige Überforderung, die sie in den dramatischen Ausbrüchen aufblitzen lässt, dieses kleine Kratzen in der Höhe, das legitimiert ihre Leistung nur noch: Ausdruck statt Wohllaut! Eine Sternstunde. Von der Kanzlerin bis Atze Brauner haben das wohl alle im Saal begriffen. Ovationen.

Wenn es im vierten Akt von Giuseppe Verdis „Otello“ also ans Sterben geht und Desdemona ihr Weidenlied singt und ihr Ave Maria spricht und sich ihr Hochzeitskleid umhängt, einen Traum aus Rüschen und Tüll, und wenn das Ganze sich in einem finster-faschistischen Dreißiger- Jahre-Ambiente zuträgt, mit einem gläsernen Sarg als Ehebett (Bühne Harald Thor), und sie nur mit den Armen ins Kleid schlüpft, wie eine Anziehpuppe, und sich dann hinlegt, quer aufs Bett, dann erreicht die Aufführung ihren späten, einsamen Höhepunkt. Ist es das biedere blaue Kleid, in dem Harteros die ersten drei Akte bestreiten muss (Kostüme: Andrea Schraad), ist es das enervierende Dauergewusel des Chors im Hintergrund, das Regisseur Andreas Kriegenburg anstelle einer substanziellen Idee zum Stück entfacht – erst hier, auf nahezu leerer Bühne, findet diese großartige Sängerdarstellerin ganz zu sich. Liane Keegans Emilia steht ihr so dezent wie innig zur Seite, während Yosep Kangs Cassio sängerisch ihr als Einziger wirklich ebenbürtig sein dürfte: mit einem Unschuldstimbre, einer jugendlichen Emphase im Tenor, die aufhorchen lässt – und im weiteren Geschehen Schlimmes befürchten.

Eine Frau sieht dem Tod ins Auge: frei von jeder Larmoyanz, kühl entschlossen, dem geliebten Gatten alle blinde Wut und Eifersucht, seinen tragischen Irrtum, nun, da dieser nicht mehr zu verhindern ist, noch leicht zu machen. Bei Harteros reicht die Psychologie bis in kleinste sängerische Details hinein, überhaupt liest man in ihrer Stimme bisweilen wie in einem offenen Buch. Schlackenlos, ohne falsche Schluchzer oder selbstmitleidige Untertöne, blitzsauber im Ansatz, in der Intonation, seidenweich in den Piani, mit sanft flutenden „Salce!“-Klagerufen, verschafft sie Verdis Desdemona einen betörenden Abgang. Man muss lange zurückdenken, um in der Interpretationsgeschichte Vergleichbares aufzutun, die Callas vielleicht (der allerdings die Naivität fehlte) oder Mirella Freni (mit engeren Grenzen), Herva Nelli wohl unter Toscanini 1947.

Schade, dass José Cura von solcher Durchdringung nichts ahnt. War der argentinische Tenor nie ein sonderlich differenzierter Gestalter, so merkt man ihm mittlerweile doch auch deutliche Ermüdungen an. Im mittleren und unteren Register hat die Stimme viel an Schneid und Attacke eingebüßt, im Piano spricht sie so gut wie nicht mehr an, die Höhen werden gestemmt und gequetscht und ausnahmslos angeschliffen. Otellos „Èsultate!“-Auftritt ist für Tenöre der Horror, aus der Garderobe hinauf zum hohen B – Cura scheitert daran, mit Heiserkeit und vorzeitig abgebrochenem Spitzenton. Gleichwohl bringt der Mann eine Potenz auf die Bühne; die Weltkarriere, die er im späten Windschatten von Domingo, Pavarotti & Co. gemacht hat (nicht zuletzt mit dieser Rolle), ist atmosphärisch kaum zu leugnen. Und wenn der venezianische Feldherr sich im dritten Akt seine tödliche Eifersucht selbst eingesteht („Dio! mi potevi scagliar tutti i mali“), dann bringt Cura das zwar etwas theatralisch über die Rampe, aber souverän.

Zu schauspielern hat er an diesem Abend so wenig wie alle anderen. Dass Otello Desdemonas Taschentuch zerreißt und daraus einen Strick dreht, mit dem er die vermeintlich Untreue schließlich – gegen einen Bettpfosten gedrückt – erdrosselt, gehorcht der Konvention (und Arrigo Boitos Libretto). Dass er sich anschließend erschießt, in den Bauch und durch ein Kopfkissen hindurch, ohne dass auch nur ein einziges Tröpflein Blut fließt, ist schlichtweg albern. Einer der vielen Lapsus, die die Regie sich an diesem Abend leistet. Warum um alles in der Welt muss Jago sein Credo ausgerechnet und wie ein Märchenonkel dem Kinderchor der Deutschen Oper anvertrauen? Vielleicht hat ja Zeljko Lucics Bariton, dem jegliche Dämonie und bösewichtelnde Schwärze abgeht, Kriegenburg dazu inspiriert ... Wieso genügt es, dem armen Cassio im ersten Akt einen Schluck Wasser auf die Uniform zu kippen – und schon taumelt dieser heillos betrunken über die Szene? Und was soll dieses enervierende Bühnenbild, das eine Art Auffanglager zeigt, metallene Stockbetten und Kojen, die sich hoch in den Schnürboden stapeln, eine Menschentapete, auf der Eingepferchte tun, was Eingepferchte so tun, wenn der Abend lang wird: Fernsehen schauen, mit Teddies spielen, winken, Gebetsteppiche ausschütteln, dösen, Sachen werfen ...

Akustisch und für den Chor der Deutschen Oper (Einstudierung: William Spaulding) ist dieses Bild ein Glück: ein Klang wie eine Wand, manchmal fast zu kompakt, zu massiv, wenngleich immer präzise. Darauf vor allem scheint auch Patrick Summers im Graben Wert zu legen, mächtig viel Zug entfaltet die Musik unter seiner Stabführung – für die Komplexität des späten Verdi aber, das Weltweise dieser Partitur jenseits aller Knalleffekte hat der Chef der Houston Grand Opera (der kurzfristig für Paolo Carignani einsprang) kein rechtes Ohr. Wie schrieb Lena Meyer-Landrut so treffend ins Goldene Buch ihrer Heimatstadt? „Verdammte Axt!“

Wieder am 2., 4., 8., 10., 13. und 24.6.

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