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Oper: Hinaus, ihr Töne

Public Viewing am Bebelplatz: Die Staatsoper bringt "Fidelio" unters Volk.

Wenn es in Berlin Zeit wird, vom Sommer Abschied zu nehmen, kehrt die Kunst zurück. So ist es nur konsequent, wenn die Staatsoper zur Saisoneröffnung mit „Fidelio“ nach draußen geht und die Eröffnungsvorstellung mittels Leinwand auf den Bebelplatz überträgt, wo sich ein versöhnliches, hellgoldenes, schon nicht mehr kräftiges und eigentlich schon vom Herbst angekränkeltes Licht über die grandiose Kulisse ergießt.

Bereits im vergangenen Jahr war der Bebelplatz voll, aber dieses Jahr schenkt der Wettergott der Staatsoper den schlechthin perfekten Abend: zartblauer, wolkenloser Himmel, warme und trockene Luft, Windstille. Von den Linden her ein sanftes Motorenrauschen, es stört kaum. Auf dem Platz: mindestens 10 000 Menschen auf mindestens ebenso viel verschiedenen, selbst mitgebrachten Stühlen. Alles muss als Sitzgelegenheit herhalten, selbst der Rollator von Oma. Rotwein, Nudelsalat und Sekt machen die Runde. Als würden sich Berge und Täler ablösen, so stehen und sitzen die Leute dichtgedrängt, ein Menschengebirge mitten in Berlin, und tatsächlich treffen geradezu tektonische Platten aufeinander, wenn das Musiktheater sein schützendes Gehäuse verlässt und sich ins Freie begibt, in die Domäne von Popkonzerten und Fußballspielen.

Die Leinwand wirkt trotz ihrer 70 Quadratmeter klein, aber die LED-Technik zeigt das Geschehen auf der Bühne so gestochen scharf, dass selbst die Leute vor der gegenüberliegenden Humboldt-Universität keine Mühe haben, alles zu erkennen. Während der Ouvertüre bietet die Kamera die ungewohnte Möglichkeit, Daniel Barenboim bei der Arbeit im Orchestergraben zu studieren. Man kennt diesen Effekt von Opernaufzeichnungen im Fernsehen: Die Kamera nimmt die Gesichter der Mitwirkenden aus nächster Nähe und aus mehreren Blickwinkeln auf, ein zweite Regieebene legt sich über die erste, so dass man im Grunde eine völlig andere Inszenierung sieht als die Besucher drinnen im Saal.

Aber das passt ja zum abstrakten Bühnenbild von Stéphane Braunschweig, der Zeit und Raum selbst zum Thema macht, indem er das Gefängnis von Florestan (sehr undeutlich und am Ende mit dünnem Tenor: Johan Botha) als ein sich nach hinten verjüngendes Gitternetz darstellt. Auch den Stimmen ist man paradoxerweise draußen näher als drinnen. Was aus den Lautsprechern dringt, ist laut und klar, ohne dröhnend zu sein. Die Fassaden werfen den Klang zurück und bilden so einen Theaterraum ganz eigener Art.

Erst weit nach der Pause regt sich das Bedürfnis, einen Pulli anzuziehen. Die meisten Besucher bleiben, wo sie sind – dies ist kein touristisches Publikum, das bei Gratiskonzerten reinschneit und gerne schon nach zehn Minuten wieder geht. Schade, dass bei Waltraud Meiers Leonore die Lautsprecher in der Höhe gelegentlich doch einen recht verschwommenen Ton liefern. Wenn sich dann noch die Staatskapelle allzu forsch in den Vordergrund drängt, hört man beinahe gar nichts mehr. Aber das bleibt die Ausnahme. An diesem Abend dürfte es bei so manchen neuen Opernfans „klick“ gemacht haben. Den Weg nach drinnen finden sie dann hoffentlich auch.

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