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Oper: Ich hab’ mich an der Welt erkältet

Des Teufels Schwestern: Peter Eötvös und Albert Ostermaier spielen zweimal neue Oper in München. Dort feierten die Tschechow-Adaption "Tri Sestri" und "Die Tragödie des Teufels" Premiere.

In der ersten Oper, der vergleichsweise alten (aber, wie sich dann herausstellt, immer noch jungen), beginnt alles und bleibt in der Provinz. Weit weg von Moskau. Das ist am Sonntag in der Bayerischen Theaterakademie. In der zweiten Oper, der ganz neuen (aber, wie zu zeigen sein wird, merkwürdig antiquierten) spielt die erste Szene im Himmel. Das ist am Monatg im Bayerischen Nationaltheater. Die zweite Oper findet genau dort ihren Anfang, wo das Personal der ersten gerne wäre. Stattdessen wähnt es sich in der Hölle. „Tri Sestri“, „Drei Schwestern“ also, sind beim Schriftsteller Tschechow und beim Musiktheaterkomponisten Peter Eötvös ein Drama mit komischen Zügen. „Die Tragödie des Teufels“ ist beim Münchner Dichter und Brechtpreisträger Albert Ostermaier und wiederum beim selbst am Pult uraufführenden Peter Eötvös eine, wie es heißt, „komisch-utopische Oper in zwölf Bildern“.

In der ersten Oper spielen bevorzugt Studenten der Theaterakademie. Der Raum ist licht und hell, und der Blätterfall im Herbst so sanft wie die sich zwischen zwei Orchestergruppen ausbreitende leicht ironisch gefärbte Klangmelancholie (Dirigenten des Münchner Rundfunksinfonieorchesters: Ulf Schirmer und Joachim Tschiedel). Man sieht Menschen, über denen (wie in Eötvös’ Melodienfragmenten) die Gefühle zusammenstürzen. Aber sie leben.

In der zweiten Oper agiert die internationale Sängerwelt (Julie Kaufman, Ursula Hesse von den Steinen, Topi Lehtipuu). Die Bühne ist bestückt mit einer überdimensionalen Skulptur des ukrainischen Künstlerpaars Ilya und Emilia Kabakov (die am Ende aber auch nicht mehr darstellt als eine monumentale Treppe). Auf ihre Weise verstopft sie den Klangraum zwischen den zwei Orchesterkörpern auf der Bühne, und den Figuren bleibt, außer Stufensteigen, nichts anderes übrig, als sich, eher minder dekorativ, zunächst an der Rampe aufzuhalten. Dort aber bleiben sie, denn mehr fällt dem Regisseur Balázs Kovalik, Opernchef in Budapest und – die Musikwelt ist klein – Absolvent der Bayerischen Theaterakademie, nicht ein. Man sieht lauter Ideenträger, über denen, langsam, aber sicher, die gewaltige Konstruktion des Stücks zusammenbricht.

„Tri Sestri“, vom Ende der neunziger Jahre, war der Geniewurf eines Fünfzigjährigen, der mit traumwandlerischer Sicherheit aus einem ungeheuer redeseligen Schauspiel ein stimmungsvolles, fast schon überambivalentes Musiktheater machte. Wiewohl jedem Hauptdarsteller ein Instrument zugeordnet ist und die Geschichte ganze dreimal aus wechselnder Perspektive erzählt wird, kann der Abend nie etwas Didaktisches bekommen. Nicht umsonst werden „Tri Sestri“ weiterhin regelmäßig aufgeführt, haben es also zumindest in Repertoirenähe geschafft. Wer die Produktion der Theaterakademie sieht, weiß wieder, warum: Die Regisseurin Rosamund Gilmore nämlich erzählt mit leichter, aber sicher alle verworrenen Fäden ziehenden Hand eine Geschichte: Sie ist nicht von gestern, nicht von heute, sondern überzeitlich. Und Gilmore lässt sich von der Musik helfen: Tschechows philosophisches Provinzpossenjuwel lebt von Eötvös’ trauerbereitem Humor. Es ist zum Lachen, Weinen und zum Immerwiederkommen. Im Juli 2011 wird die Produktion in Berlin zu sehen sein.

In der „Tragödie des Teufels“ liegen die Dinge komplizierter (was nicht gegen den Abend spräche): Zum einen ist die Fabel vom gefallenen Engel Luzifer, welcher Adam und Eva auf einer Art Weltreise zeigt, wie schlecht es aussichtshalber um die Menschheit bestellt ist (und immer schon war), ungarischer Nationalmythos. Seit 1861 schlagen über dem Mysteriendrama von Imre Madách, von ihm „Die Tragödie des Menschen“ geheißen, die interpretatorischen Wogen zusammen: Mal klang es den Magyaren, als sei die Dichtung fast im Rang gleich dem „Verlorenem Paradies“ von John Milton, mal gehörte sie, grob gesagt vom grimmigen Literaturkritiker Georg Lukacs, eher auf den Kehrichthaufen der antisozialistischen Machwerke. Wer so viel vom Einzelnen und dessen Glücksstreben rede, befand Lukacs, sei eben auch posthum kein Genosse. So weit, so kompliziert, aber das ist eben erst der Anfang dieses Münchner Opernuraufführungsdesasters.

Von Wien aus, wo der Opernintendant Nikolaus Bachler Burgtheaterdirektor war, ist Budapest eine Vormittagszugfahrt entfernt, das Pflaster nicht gänzlich anders. Bachlers alter Plan, Madáchs Stoff zu bearbeiten, trifft in München aber auf ein gänzlich anderes Trottoir. Was macht Bachler? Lässt Umwege gehen und bürdet der Produktion noch mehr theoretischen Ballast auf. Die Einrichtung des Textes durch Albert Ostermaier hat dabei den Vorteil, dass wenigstens manchmal aufblitzt, was eine gute Songzeile wäre: „Ich habe einen Schnupfen/Ich habe mich an der Welt erkältet …“), aber Ostermaier soll ja nicht nur ein Lied schreiben, sondern die Schöpfung und ihr Scheitern beweisen, da will er, weiter ausholen, kann nicht anders: also geht es nach Athen, Rom, Bagdad (Kreuzritter!), aufs Dach der Welt und immer wieder in die Wüste. Der Mensch ist ein Abgrund, und es schaudert einen, wenn man in ihn hineinschaut, das heißt, es schauderte einen, denn Ostermaier blickt grandios selbstbewusst drüber weg: Er findet tausend Bilder – und von „Rosemary’s Baby“ bis „Mad Max“ und „Matrix“ auch noch etliche Filmzitate –, ja führt am Ende gar noch die uremanzipierte Lilith ein (was selbst die Bibelfestesten arg prüft). Aber es ist dann doch alles ein bisschen viel.

Als langjährigem Mitstreiter von Karlheinz Stockhausen ist Peter Eötvös das Luziferische (und dessen Überwindung) von dessen monumentalem „Licht“-Zyklus her natürlich vertraut, doch hat Ostermaiers Assoziationswut auch für ihn seinen Preis. Und er zahlt ihn voll: vor lauter Wagner-Imitation, „Psycho“-Geigen, ostinaten Figuren und hochvirtuos ins Nichts gehenden Perkussionslinien, mit einem Wort: hinter lauter Könnerschaftsbeweisen verschwinden seine ureigenen Talente. Und eines möchte man lieber gar nicht wissen: Was das gekostet hat …

Vorstellungen von „Tri Sestri“ im Rahmen des Festivals für Neues Musiktheater im Juli 2011 im Schillertheater Berlin.

Vorstellungen von „Die Tragödie des Teufels“ in München am 25. und 28. Februar sowie am 6. und 9. März.

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