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Waschtag mit weißem Riesen. „Merlins Insel“ in Rheinsberg.

© Musikakademie

Oper in Rheinsberg: Glitzern und grunzen

Zu Ostern bietet die Musikakademie Rheinsberg immer eine Opernrarität. Diesmal hat Maximilian Ponader „Merlins Insel“ von Christoph Willibald Gluck inszeniert. Dabei lernt man den Komponisten von seiner unbekannten, komischen Seite kennen.

Weiße Hemden, so viele, dass die Augen fast schmerzen. Rüschenbesetzte Schlafröcke, die an Wäscheleinen baumeln. Wie im Leichenschauhaus. Aber hier ist niemand tot, im Gegenteil: Hier galoppiert der Witz, oder zumindest die Parodie. Im vorösterlichen Rheinsberg zeigt die Musikakademie, die sich seit über zehn Jahren verdienstvoll vergessenen Repertoires annimmt, im Schlosstheater eine Rarität: eine Buffa von Christoph Willibald Gluck, der natürlich vor allem für seine tragischen Opern, für „Orfeo ed Euridice“, für „Iphigenie auf Tauris“ berühmt geworden ist. Dies aber ist „Merlins Insel oder die verkehrte Welt“ (Regie und Bühne: Maximilian Ponader), ein Einakter, uraufgeführt 1758 in Schönbrunn.

Zwei Schiffbrüchige, Pierrot und Scapin, landen an auf der Insel des Zauberers Merlin. Die beiden Baritone Tilmann Birschel und Christian Backhaus sind das Rückgrat des Stücks, sie brillieren schauspielerisch wie sängerisch, keine Selbstverständlichkeit im Musiktheater. Der Pierrot von Birschel – der die koproduzierende Oper an der Leine in Hannover leitet – ist ein rundlicher, galanter, scharfsinnig denkend und doppelbödig sprechender Kerl, der Scapin von Backhaus hingegen eher ein Naturbursch, jovial und einfach, mit Freude am guten Leben (und Essen). Der Stämmige als Tamino, der Schlanke als Papageno: Wie eine umgedrehte Zauberflöte wirkt das.

Insgesamt acht komische Opern hat Gluck nach 1758 geschrieben, und so heiter-belanglos sie auch anmuten mögen, sind sie doch bedeutsam verwoben in die Musik- und Weltgeschichte. Denn Buffas waren damals in Wien nicht gelitten, galten als „welsch“. Die „Renversement des alliances“, die grundlegende Umwälzung der Allianzen in Europa, die plötzliche Partnerschaft zwischen den Erbfeinden Frankreich und Habsburg (in deren Rahmen Marie Antoinette nach Paris verheiratet wurde), führte dazu, dass auch der komische Stil Einzug an der Donau hielt. Für Gluck eine Möglichkeit, sich auszuprobieren, seine spätere Opernreform vorzubereiten – die in den großartigen „Iphigenie“-Opern kulminieren sollte.

Auf der Insel im „Merlin“ ist alles anders als im wirklichen Leben: Gesunder Menschenverstand entscheidet, Kaufleute sind vorsichtig, Krämer gewissenhaft, Advokaten rechtschaffen: Sie tragen ihre Prozesskosten selbst. Gemeint war das als deftige Satire auf Paris – 100 Jahre, bevor Jacques Offenbach in seinen Operetten dem zweiten Kaiserreich die Maske vom Gesicht zieht.

Und so begegnen Pierrot und Scapin allerlei seltsamen Gestalten: Einem singenden Philosophen etwa, oder einem tanzenden Notar. Und zwei weiblichen Wesen mit glitzernden Lippen, die sie natürlich sofort heiraten wollen. Dazu müssen aber erst zwei wilde, grunzende Widersacher im Würfelspiel besiegt werden. Johanna Knödel, Cindi Raquel Lutz und Jean-Christophe Fillol, die an der Musikhochschule Hannover studieren, sowie Thorsten Junge und Christoph Rosenbaum übernehmen diese Rollen, sieben Darsteller für zwölf Figuren.

Sie setzen die Witze und Pointen exakt, was höchst wichtig ist in diesem Strudel an Ereignissen, in dem die Figuren keine wagnerschen Längen haben, um sich charakteristisch zu entfalten, sondern höchstens wenige Minuten. Der Slapstick, er funktioniert. Nur das Geschlechterbild der Regie will etwas schlicht erscheinen. Auf Merlins Insel sind Frauen eher schweigsam und schwatzen nicht - weil das sonst alle Frauen tun? Gebrechen werden dadurch geheilt, dass Pierrot und Scapin einfach ihre Hände auf eine weibliche Brust legen. Na gut, das tut Masetto in Mozart und da Pontes „Don Giovanni“ auch. Gendermäßig kann man da trotzdem noch einiges nachbessern.

Glucks Fähigkeit, eine Szene, eine Stimmung musikalisch genau zu erfassen, setzt der junge Franzose Aurélien Bello mit dem Rheinsberger „Orchester 1770“, das jedes Jahr neu zusammengesetzt wird, mit flotten Tempi, klangneugierig und risikofreudig um. Am Ende darf Christoph Rosenbaum als Deus ex machina, sprich als Merlin, wie ein Springteufelchen aus der Kiste ploppen. Er weist die Rivalen in die Schranken und führt die rechten Paare zueinander. Lieto fine also. Warum die ganze Bühne mit Wäsche verhangen ist, bleibt rätselhaft. Wohl eine Anspielung auf Unschuld und Reinheit – auf alles, was Paris zu jener Zeit eben nicht war.

Wieder am 19. 4., 19.30 Uhr, und 20. 4., 15 Uhr

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