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Oper: Kindergeburtstag mit den Meistersingern

Regisseur Frank Castorf bringt Wagners Oper in zweieinhalb Stunden auf die Berliner Volksbühne.

Berlin - Walther von Stolzing, der junge Ritter aus Franken, hat sich ganz in Robin-Hood-Manier in hautenge Strumpfhosen gezwängt, der runde Bauch wird von einem breiten Gürtel gehalten. Christoph Homberger singt Richard Wagner: Der Tenor ist der einzige Opernsänger im Ensemble bei Frank Castorfs Inszenierung nach Wagners "Die Meistersinger von Nürnberg" in der Berliner Volksbühne.

Ansonsten hatte Castorf bei der Premiere am Donnerstagabend den Schuster Hans Sachs, den Stadtschreiber Sixtus Beckmesser und den Bäcker Fritz Kothner mit Schauspielern seines Ensembles besetzt. Hingucker des Abends aber war neben dem "Chor der werktätigen Volksbühne" die wie für einen Kindergeburtstag bunt geschmückte Bühne des Malers und Aktionskünstlers Jonathan Meese, der auch gleich noch eine kleine Rolle am Schluss des Stücks übernehmen durfte.

Bühnenhohe Gitterstäbe

Meese liebt Wagner, das hat er oft in Interviews bekannt. Castorf dagegen hat ein eher gespaltenes Verhältnis zu dem Komponisten, dessen "Meistersinger" von 1868 den politischen Konflikt zwischen Progressivem und Konservativem an einem ästhetischen Konflikt spiegelt. Meese verlegt Wagners Oper in ein Gefängnis. "JAIL" steht da auf bühnenhohen Gitterstäben. Dahinter thront eine wie in Laubsägearbeit gefertigte Berglandschaft mit bunten Bildern und Spruchfetzen wie "Babyinflation", "Salonbolschewiken", "präsozial", "Falscher Hase (Hmmm)", "Yeah De Blubbi", "Yeah de Pippi". Hereingerollt wird ein "Dr. Scharlatanz"-Mobil, auf dem eine bizarre Maske thront. Wer "Dr. Scharlatanz" ist, bleibt offen - Vielleicht Wagner? Vielleicht Castorf?

Plötzlich knattert ein golden bemalter Wehrmachts-Kübelwagen auf die Bühne und transportiert die Meistersinger mit ihren Damen (herausragend: Sophie Rois als Veit Pogners Tochter Eva) auf die Bühne, und sie heben an zu ihrer eigentlichen Aufgabe an diesem Theaterabend: Sie unterbrechen den Wagner-Sprech-Gesang und schreien stattdessen die Thesen aus Ernst Tollers Revolutionsdrama "Masse Mensch" heraus. "Masse war Moloch. Masse ist ohnmächtig. Masse ist schwach. Masse ist Führer." Der Intellektuelle wird als Verräter beschimpft. Hans Sachs (Bernhard Schütz) lobt und preist die Masse gegen das Individuum. Und immer mehr Individuen verlassen während der Aufführung klammheimlich den dunklen Zuschauerraum.

Kotzende trojanische Pferde

Mit dem Text von Toller bringt Castorf die "Meistersinger" in zweieinhalb Stunden auf die Bühne. Schon für die Wagner-Oper allein wären eigentlich fünf Stunden vonnöten. Viel Wagner also steckt nicht mehr in diesen "Meistersingern" light. Stattdessen gibt es kotzende trojanische Holzpferde, die nichts beinhalten, aber Wagners einziger komischer Oper offenbar ernstlich auf den Zahn fühlen sollen. Die Berglandschaft wird beiseite geschoben und es präsentiert sich ein tiefschwarzes "Fort Knox" mit der Aufschrift "Dr. Erzchef", aus dem Beckmesser (Max Hopp) einen Koffer mit 26 Millionen D-Mark klaut. Das entspricht der Menge an Geld, nämlich gut 13 Millionen Euro, die Castorfs Volksbühne jährlich von seinem "Chef" im Senat aufs Konto überwiesen bekommt. Hans Sachs hat Skrupel, mit dem Geld abzuhauen.

Musikalisch beschränkt sich der Castorf-Wagner auf zwei Klaviere und ein Bläser-Quintett. Die Streicher wurden gestrichen. Dass Schauspieler zu Wagner-Sängern werden, so hofft Castorf, nähere sich dem, was der Komponist einst "Drama als Oper" nannte. Damit will der Regisseur die Stimme auf "ihr politisches Moment" zurückführen. Dafür steht auch sein mehr als 30 Personen starker "Chor der werktätigen Volksbühne", allesamt im Blaumann: oben Jeans und unten Jeans. Sie singen wirklich schön und erhalten am Ende viel Beifall - ebenso wie das gesamte Ensemble und auch Castorf und Meese, die sich gegenseitig herzend über die trashige Müll-Bühne stolpern. (Von Angelika Rausch, ddp)

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