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Vorsicht Wagner. Polizeiabsperrung vor der Scala in Mailand. Foto: Reuters

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Oper: Walküren unterm Schutzschirm

Die Mailänder Scala eröffnet die Saison – und Daniel Barenboim protestiert gegen Italiens Kulturpolitik.

Fast ist alles so wie immer am Tag des Mailänder Stadtheiligen Ambrosius, an dem traditionell mit viel Pomp und Society-Tralala die neue Scala-Saison eröffnet wird. Wer die dicksten Klunker schwenkt, wird am liebsten fotografiert, für Geladene gibt es im Anschluss in einem der umliegenden Palazzi ein Candle-Light-Dinner, und vor dem Opernhaus wird demonstriert – nur am äußersten Rand der Piazza, der erhöhten Sicherheitsstandards wegen, aber immerhin. Es wird demonstriert gegen die Krisengewinnler im Allgemeinen und das Ausbluten der Kultur im Besonderen, auch und gerade durch ein Repräsentationstheater wie dieses (mit Ticketpreisen bis zu 3000 Euro).

Ihr da drinnen, wir hier draußen? Das war einmal. Statt den Einsatz für Richard Wagners „Walküre“ zu geben, greift Daniel Barenboim, kaum ist er ans Pult getreten, zum Mikrofon. Wie glücklich er sei, erneut an der Scala arbeiten zu dürfen. Und wie groß die Sorgen seien, die er sich mit vielen im Land um die Zukunft nicht nur dieses Hauses machte. Und dann zitiert er mit Blick hinauf zur Königsloge, in der, peinlich berührt, Staatspräsident Giorgio Napolitano thront, aus Italiens Verfassung, in der die Pflege des kulturellen Erbes festgeschrieben steht.

Erinnerungen an Barenboims Auftritt in der Knesset 2005 werden wach, als sein Verlesen der israelischen Verfassung Tumulte auslöste. In Mailand steht man auf und klatscht, nicht frenetisch, nein, aber lang und laut genug, um das eigene Gewissen zu beruhigen. Barenboim wagt auszusprechen, was längst akzeptiert ist. Italien hat seine Seele verkauft, lange vor Berlusconi. Und plötzlich nehmen sich die alten Erzfeinde, die Volks- und die Hochkultur, nichts mehr. All die, die diesen Aderlass mit zu verschulden haben, politisch, gesellschaftlich, ökonomisch, dürfen sich einen Augenblick lang im gleißenden Licht der Empörung sonnen. Absurd.

So könnte der von der Berliner Staatsoper koproduzierte „Ring“ glatt als eine Art Schutzschirm für die Scala begriffen werden. Das künstlerische Ergebnis jedoch lässt diese schöne Idee gleich wieder zerplatzen. In Mailand mag die „Walküre“ in erster Linie Klischees bestätigen, was Langeweile in deutschen Opern betrifft und Wagner’sche Längen, wenn Sänger halbstundenweise an der Rampe verharren und, wie schon im „Rheingold“, vor allerlei Licht- und Videospielereien Text- und Musikmeter absondern. In Berlin im April wird man andere Fragen stellen: Wie kann es sein, dass eine Chance derart vertan wird? Ist das der Preis für den EU-Nenner, für nicht zu viel Regietheater hier und nicht zu wenig ästhetische Kulinarik da – und wenn ja: Ist dieser Preis für beide Seiten und im Blick auf das dräuende WagnerJahr 2013 nicht viel zu hoch?

Man mag Barenboim zugute halten, dass er anfänglich in der Konzentration etwas abgelenkt war. Auch sind die akustischen Bedingungen in der Scala zwar gänzlich andere als im Schillertheater (Berliner Premiere am 17. April 2011), aber nicht minder kompliziert, und prospektiv beides im Ohr zu haben, im Sinne einer musikalischen Konsequenz, das dürfte an Schizophrenie grenzen. Den Graben so weit hoch zu fahren jedoch, dass Barenboim fast bis zu den Schulterblättern sichtbar war, bringt nicht die erwünschte Präsenz.

Vor allem im ersten Akt wirkte das Scala-Orchester extrem fasrig und fahrig, als müsste es sich erst warm spielen. Wackler, Kiekser, viel Ungehobeltes, Rohes, Lautes, ja Liebloses. Und auch Barenboim, der mit der Staatskapelle im Schillertheater ein so fabelhaft durchsichtiges, pastoral-glitzerndes „Rheingold“ erarbeitet hat, gibt hier Rätsel auf: Wo bleibt der Zug, das dramatische Lot, die Sorge der einzelnen Leitmotive umeinander? Und warum lässt er die Tempi in den großen Zweierszenen dermaßen ersterben, dass der Spannung jede Puste ausgeht und noch dem Wagner-willigsten Italiener im Saal das Kinn auf die Brust fällt?

Nur wenn Waltraud Meier die Szene betritt, rührt sich im Graben die alte Glut. Natürlich ist die 54-Jährige über die Sieglinde hinaus. Ihr gurrendes Sopran-Timbre aber hat immer noch Erotik und selbst wenn Meier ihren Gestaltungswillen gegen Guy Cassiers’ Nicht-Regie nicht verteidigen kann, so versucht sie doch wenigstens, dieser Figur eine Geschichte zu geben, ein Leben zwischen Liebeswerben, Inzest und Todesangst. Unbändig, geradezu irre ihre Freude, als Siegmund das Schwert aus der Weltesche zieht - und wie albern, dass dabei so viel Pappmasché wackeln muss.

Wo solcher Wille nicht existiert, wird so scham- wie hilflos frontal in den Saal gesungen: von Simon O’Neill als enttäuschendem, wenig durchsetzungsfähigem Siegmund (der der Produktion in Berlin als einer der wenigen erhalten bleibt), von Ekaterina Gubanova als klangschöner, aber blasser Fricka und von Vitali Kowaljev als absolut ungenügendem, schmalbrüstigem Wotan (den das Kostümbild zu allem Überfluss mit einer Matte à la Helge Schneider ausstaffiert). Nina Stemme gibt hier ihr Europa-Debüt als Brünnhilde: eine eher elegische „Wunschmaid“, etwas kurz in der Höhe, dafür stabil in der Mittellage, keine metallische Hochdramatische, aber menschlich, heutig, nah. Der Schluss („War es so schmählich“) gelingt ihr wunderbar, innig, und hier haben sich denn auch Barenboim und das Scala-Orchester erfolgreich zusammengerauft, mit seidigen Piani und einem ausgesprochen sinnlichen Sprühen der Feuerbettfunken.

Dieses Finale lässt die Handykameras im Saal aufblitzen. Getreu der pseudo-virtuellen Ästhetik, die Guy Cassiers und sein Bühnenbildner Enrico Bagnoli anstelle einer ernstzunehmenden Auseinandersetzung mit Wagner bemühen (Hundings Hütte als Leuchtkubus, ein Fries aus Pferdeleibern für den zweiten Akt, eine Art Disco-Weltkugel für Wotan), senkt sich nun ein sattes Dutzend Rotlichtlampen aus dem Schnürboden herab. Brünnhilde unter der Mikrowelle? Hier auf den richtigen Knopf zu drücken, dürfte für Jung-Siegfried in der nächsten „Ring“-Folge ein Leichtes sein.

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