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Freax

© Thilo Beu

Oper: Wo Viren inszenieren

Eher ginge das biblische Kamel durch sein Nadelöhr, als dass diese beiden sich je verstünden. Christoph Schlingensief warf das Handtuch: Die Uraufführung von Moritz Eggerts achter Oper "Freax" in Bonn.

Wahrscheinlich ist das Dilemma am Ende so erschütternd wie banal, es hat einfach immer schon Kunst und Kunst gegeben, Künstler und Künstler. Die einen wollen die Schönheit, die anderen den Schmerz. Die einen rechnen mit Hochseilartisten, die anderen mit dem Urwuchs des Dilettantischen auf der Bühne. Die einen ergreifen alle Hände, die ihnen aus den Gräbern der Tradition entgegenwachsen, die anderen suchen nach „Gerätschaften“, mit denen sie eben jenes Tradierte für immer ausreißen können. Die einen besingen den eigenen Tod, die anderen zerstückeln das Leben der anderen.

Die einen heißen Moritz Eggert, stehen im Saft ihrer Kraft und sind hoch dekorierte Jungkomponisten, die anderen nennen sich Installateur und verkörpern mit Struwwelpeterhaaren und psychosomatisch entzündeten Augen das alterslos alternde Enfant terrible der deutschsprachigen Theaterszene namens Christoph Schlingensief. Eher ginge das biblische Kamel durch sein Nadelöhr, als dass diese beiden sich je verstünden. Der bekennende Anti-Avantgardist E. und der Anarcho-Pubertist Sch., der Musiker und der Weltmysterientheatermacher.

Mit einem derart simplen Konflikt freilich wollte sich das Theater Bonn (im Verein mit dem Beethovenfest) nicht zufrieden geben. Gewiss, die szenische Uraufführung von Eggerts achter Oper „Freax“, eine Art klingendes Kuriositätenkabinett, war geplatzt, Schlingensief hatte einen Rückzieher gemacht, und das Opus sollte nun scheibchenweise das Bretterlicht erblicken: Der erste Akt zwar mit Bühne (Thekla von Mühheim, Tobias Buser) und Kostümen (Aino Laberenz), aber konzertant, eine Wohnanlage im Querschnitt, davor ein großzügig überbautes Parkett mit zwei hölzernen Hochsitzen sowie Sänger in Zirkuskleidern, dann Pause und Schlingensiefs filmische Installation „Fremdverstümmelung, 2007“ im Foyer, dann der zweite Akt, ebenfalls konzertant, und Schluss. Ein Albtraum für alle Beteiligten, ein missliches, schmerzliches Scheitern.

Die Bonner indes witterten die Debatte hinter dem Desaster: Warum nicht aus dem Thema Stigmatisierung, Behinderung, Diskriminierung (die Initialzündung lieferte Tod Brownings legendärer „Freaks“-Film von 1932) eine buchstäbliche Verhinderung des Stücks machen, so Dramaturg Jens Neundorff von Enzberg? Warum die rivalisierenden Parallelwelten des Musikalischen und des Szenischen nicht in ihrer Autonomie belassen? Und warum den Bonner Stadttheaterbetrieb nicht kurzerhand zur Werkstatt erklären, der Öffentlichkeit also quasi ungeschützt Einblick gewähren in die Risiken eines schöpferischen Prozesses?

Schon die Pressekonferenz führte solches Fragen ad absurdum: Schlingensief zitierte aus ärztlichen Attesten, wonach seine Augen von dem hochinfektiösen Adeno-Virus (anfangs habe er immer „Adorno-Virus“ verstanden) nebst Hornhaut-Infiltration befallen seien, was ihn zwei Wochen Probenzeit gekostet habe; Moritz Eggert betonte, wie sehr er sich nach wie vor eine „Bebilderung“ (!) seiner Oper wünsche. Nein, man sei nicht verfeindet; ja, er, Schlingensief, habe die Vorstellung besessen, die Oper ins Wanken zu bringen; nein, er, Eggert, habe sich nie gegen Schlingensiefs „family“ (seine freundlich versehrten, kleinwüchsig bis mongoloiden Darsteller aus „Kunst und Gemüse“ und „Kaprow City“ an der Berliner Volksbühne) gesträubt, hätte gerne musikalische Workshops für sie abgehalten. Und so weiter. Und so fort.

Unterm Strich: Eggert wollte mit großen Stimmen ins große Haus, und zwar unversehrt, und Schlingensief wollte sein Thema, den Stoff, das Authentische im Künstlichen, die „Ausweitung der Dunkelphase“ in der Oper – und zwar unverfälscht. Symptomatisch, zukunftweisend ist daran gar nichts. Wahrscheinlich genügten Schlingensief wenige Seiten von Hannah Dübgens redseligem Libretto, ein paar Takte aus Eggerts gekonnt kostümierter, parfümierter, sich süffig wegschwülstelnder Rhythmusgruppen-Partitur, um zu wissen, dass dies für ihn undenkbar sein würde. Undenkbar wasserdicht, undenkbar in seinem blaustrümpfigen Kolportagestil. Wolfgang Lischke und das lustvoll aufspielende Bonner Beethoven-Orchester sind gewiss die letzten, die dafür haftbar gemacht werden könnten.

Der eine also schreibt eine veritable Varieté-Musik, buchstabiert ein Eifersuchtsdrama aus dem Showbizz und findet zwei Stunden lang keinen einzigen existenziellen Ton, weder fürs Eitle noch fürs Fiese, noch für die Liebe unter „Monstern“, noch für Isabella, der in einer finalen Nummer die Beine abgesägt werden. Sie, die alles Missgeburtliche, alle Freaks verachtet, ist nun selber einer und wird prompt verstoßen. So viel zur Moral.

Und der andere? Dreht einen 16-Millimeter-„Diskurs“, Wackelbilder von der Probenarbeit oder wie die Family sich in absonderlicher Maskerade über wüste Äcker trollt, um schließlich – Achternbusch, ach was, Oberammergau lässt grüßen – zur Kreuzigung eines der Ihren zu schreiten. Texte von Adorno, Pirandello und Erwing Goffman („Stigma“) werden eingeblendet, und hinter dem Leinwandschleier verborgen prangt die leibhaftige Familie an einer Tafel und feiert ein glucksendes, Lieder singendes Fest. Irgendwie anrührend, das Ganze, enigmatisch natürlich und keineswegs unbedenklich in seiner Attitüde des Entblößenwollens, der Verrückung.

Warum Schlingensief Wagner inszenieren kann (in Bayreuth, in Manaus) und Eggert nicht? Die bösartige Erklärung: Ersterer ist eben tot, da hilft alles Reden und Rabauken nicht. Die gutartige: weil wahre Kunst für wahre Künstler stets durchlässig ist. Hoffen wir, dass dies für Walter Braunfels’ „Heilige Johanna“ Ende April an der Deutschen Oper Berlin auch gilt.

Christine Lemke-Matwey

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